Volltext: Nr. 69 (69. 1920)

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rar die österreichischen Alpenländer. 
Nr. 69 
Linz, 
am 
10. September 
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1920 
Jaum tauwin. 
Von all den festlichen Tagen, die wir im Jahre be- 
hen, .nahmen Kosch haschanah und Joni1 kippur eine 
-esondere Stellung ein. Während alle übrigen, vorwie- 
v hI historisch-nationalen Charakter aufweisen und bloß 
k<>nf essionell-kultische Formen im Laufe der Zeit an¬ 
nahmen, linden wir in den letzteren den religions-rituellen 
]jihalt dominierend. Es ist daher nicht verwunderlich, 
n imi in unserer "ejitnationalisie-rten Zeit, die mit aller 
Kraft bestrebt war, das Judentum zur bloßen Konfes¬ 
sion zu deklassieren, gerade diese Feste im religiösen 
leben der Judenschaft eine überragende Stellung ein- 
N Innen. Wie weit die Emanzipation und ihre Folgen 
den religiös - rituellen Boden der modernen Juden- 
Schaft auch abgegraben haben, Roseh haschanah und 
Jom kippur stehen noch immer in ungebrochener Starke 
als aufrechte Säulen des konfessionellen Judentums da. 
Aber hüten wir uns, einer Täuschung anheimzufal¬ 
len. Noch sammelt an allen, vier Enden der Erde der 
Kchofar das jüdische Volk für wenige * Stunden, noch 
vermag das „una sona tökefu einen Widerhall in den 
Herzen der mieisten Anwesenden zu erwecken. Daß aber 
diese größten Kraftproben es bloß vermögen, die meisten 
Angehörigen ihre Bindung zum Judentum ins Bewußt¬ 
sein zu rufen, daß erst Orgel und musikalischer Anreiz 
erforderlich sind, um das Bekenntnis zum Judentum zu 
erneuern, sind gerade die Anzeichen des A erf alles, des 
Niederganges, der Entwertung des traditionellen Kon- 
fessionalismus. Schon heute sind es vorwiegend fami¬ 
liäre Pietätsgründe, die die überwuchernde Indolenz 
noch für kurze Zeit zurückzudämmien vermögen; schon 
sind es meist inhaltslose Formalitäten, denen verständ¬ 
nislos heute noch Genüge getan wird, und morgen wex- 
dem es auch diese nicht mehr sein. 
Niemand kann diese Zeitverhältnisse leugnen, der 
die Augen offen hält. Allen, denen die jüdische Zukunft 
am Herzen liegt, müssen gerade die „hohen I eiertage 
als Mahner und Warner in ernster Zeit erscheinen. In 
einer Zeit, da das opferbereite Judentum die ungeheure 
Aufgabe auf sich genommen hat, das Land der Väter 
zum Lande seiner Kinder zu gestalten. 1 )iese leuchtenden 
letzten Sommertage mahnen uns an den entblätternden 
Herbst, warnen, uns auch fernerhin bloß mit kon¬ 
fessioneller Bindung zu begnügen., ihrer Dauerhaftig¬ 
keit und Stärke zu vertrauen." Sie mahnen uns zur Eiq- 
kehr: zum Bewußtsein zu gelangen, daß all die Kräfte 
und Fähigkeiten des einzelnen dem tausendjährigen 
Boden unser Volkes entstammen, dem wir alles, alles zu 
verdanken haben; zu erfassen, daß in jedem von uns das 
Leben von Generationen fließt, daß wir nur Mittler von 
Vergangenheit und Zukunft unseres Volkes sind. \ iel 
haben wir schon von der Vergangenheit unseres Stam¬ 
mes empfangeny aber wenig, blutwenig noch für die 
Zukunft unseres Volkes gegeben. Kaum daß wir unsere 
Lebensaufgabe erfaßten, geschweige denn erfüllten. 
Werden wir uns doch Endlich bewußt, daß wir immer 
nur ein Teil eines großen Ganzen sind und daß wir 
nichtsdestoweniger alle Kräfte anspannen müßten, um 
zur Gesundung, Stärkung und Veredlung beizutragen. 
Nicht der äußerliche Konfesisionalismus, nicht, der 
hohle Formalismus können uns diesem Ziele näher 
bringen, können das Judentum einer besseren, schö¬ 
neren Zukunft entgegenführen. Nur dann werden wir 
unsere Aufgabe erfüllen können, wenn wir von innen 
heraus unsere jungen Menschen durch die ewigen Werte 
des Judentums erstarken lassen, wenn wir ihr Blut, ihre 
Herzen und Seelen mit jüdischem Wesen erfüllen; wenn 
wir bis zur Selbstverleugnung alles tun, um die Bindung 
zwischen Judenheit'und Judentum zu verstärken, zu fe¬ 
stigen, wenn wir nichts unterlassen, was für unseres 
IVolkes Zukunft, für dessen Sicherung und Verschö¬ 
nerung zu tun wTir erforderlich prachten. 
Unter den besten Auspizien treten wir diesmal ins 
neue Jahr: gleich einem Göttergeschenk ist uns Pa¬ 
lästina wiedergegeben, von unserem starken Wollen, von 
unserer Opferbereitschaft wird es abhängen, ob das 
Jahr 5681 ein „schono towo", ein gutes, ein schönes 
Jahr, sein wird. Wir wünschen es von ganzem Herzen.
	        
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