Volltext: Nr. 68 (68. 1920)

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Nr. 68 
Linz, 
am 
27. August 
137 ETuI 5 6 80 
1920 
! 
Ein zionistischer Erfolg. 
Der Aufruf der „Vereinigung österreichischer Staats¬ 
bürger jüdie^ien Bekenntnisses". 
Eine ehrliche Politik bucht nicht nur das als Erfolg, 
was dem unmittelbaren Wirken der eigenen Partei zuzu- 
,-ehreiben ist, sondern sie schätzt jede Neuerung im Ge¬ 
meinwesen, die diesem nützt und einen 1' ortschritt im 
Sinne der eigenen Bestrebung darstellt. 
Seit Jahr und Tag sind die Zionismen als Interessen¬ 
ten der jüdischen Gemeindepolitik bestrebt, diese aus 
den Sumpf der vielleicht romantischen» aber gänzlich un¬ 
modernen und undemokratischen Kehillah-Wirtschaft 
herauszureißen. Es ist eine zionistische 1? orderung, daß 
die jüdische Gemeinde in der Galuth auf den breitesten 
Grundlagen im Sinne einer Vertretung aller Schichten 
ihrer Mitglieder mit Mittelti aufgebaut wird, die aus dem 
reichen geistigen Inventar unserer Zeit geholt sind. 
Die wesentlichstem! Forderungen der Zionisten im 
Hinblick auf die jüdische Gemeinde waren außer der 
selbstverständlichen D e m o k r a t i s i e r u n g duie 1 
Schaffung eines allgemeinen Wahlrechtes: 1. Erweite¬ 
rung der Grenzen, die der jüdischen Gemeinde durch das 
Gesetz geboten sind und ein Ausbau in dem Sinne, aal. 
sie auch zur Vertretung aller besonderen jüdi¬ 
schen Interessen berufen sei. Es ist 3a bekannt, 
daß die Kultusgemeinde, die wie ja der Name besagt, nu r 
zur Besorgung der Kul tu s an gelege nhe 11 e 11 be¬ 
rufen ist, öfter als einmal Gelegenheit fand, sich in 
einem weiteren Rahmen zu betätigen. Die Übernahme 
des Rechtsschutzes ihrer Angehörigen ist, schon eine an 
Autonomie grenzende Kompetenzerweiterung. 
2. Eine Durchführung, sozialer Maß nah me n, 
die mit der oft geübten Rachm'ones .-Wohltätigkeit 
brechend, glücklich eine Synthese moderner Sozialpolitik 
mit traditionellem jüdischen Geiste der allgemeinen 
Wohlfahrt darstellen. . , 
3 Ein Sorgenkind der zionistischen Politik ist der 
jüdische Unterricht, der noch imflier in unzu¬ 
länglichster Weise für die Heranbildung unserer Jugend 
sorgt. . . j 
4. Ebenso hat das Interesse der Zionisten an dem: ge¬ 
ordneten Budget der- Gemeinde sich stets darin gezeigt, 
daß sie neue Mittel und Wege aufsuchten um eine ge¬ 
rechte Verteilung der Gemeindelasten zu 
ermöglichen. , T 
5. Daß eine Hauptforderung der Zionisten die Inte£" 
s i V i e r u n g d e s P a 1 ä s t i n a g e d ä n k e n s ist, braucht 
f 
nicht betont zu werden. Palästina muß in den Mittel¬ 
punkt der jüdischen Interessen gestellt werden, weil ja 
der Zionismus in der Schaffung einer Heimstätte im Land 
der Väter die einzige Möglichkeit zur Regeneration des 
Volkes sieht. 
Wenn nun alle diese Kardinal punkte des zionistischen 
Gemeindeprogrammes ein Kcho in Kreisen finden, »die 
ihm früher fremd, ja teilweise feindselig, gegenüberstan¬ 
den*, so kann man ohne Übertreibung diese neue Ein¬ 
stellung als einen Erfolg der zionistischen Ideologie 
betrachten. 
Di^ Mitglieder der Kultusgemeinde Linz wurden 111 
dieser Woche mit einem „Aufruf" eines Komitees zur 
Gründung einer „Vereinigung österr. Staatsbürger 
jüdischen Bekenntnisses" überrascht, in welchem als Auf- 
talvt zur Neuwahl in die Linzer Kultusgemeinde, die nach 
Genehmigung des neuen Statuts" demnächst bevorsteht, 
ein Programm dieser Vereinigung entworfen wurde. In 
der Linzer jüdischen Gemeinde hat, schon früher zum 
Unterschied zu andern jüdischen Siedlungen in Oster¬ 
reich ein regeres uind auf höherem Niveau stehendes 
jüdisches Leben pulsiert. 
Es sei gleich vorweg genommen, daß man vom zio¬ 
nistischen Standpunkt an dem Programm der neuen Par¬ 
tei Kritik üben kann und muß, aber es bedeutet in un¬ 
seren oft so kleinlichen, oft persönlichen Kehillah-Poli- 
tikVerhältnissen viel, daß sich die Anschauungen um ein 
klar gezeichnetes Programm kristallisieren können. Ob 
und wie die Zfonisten zu diesem Programm Stellung neh¬ 
men werden, ist eine Frage, die hier nicht zu erörtern 
ist, aber es muß j<*1enfalls jeden Freund eines gesunden 
öffentlichen Lebens mit Genugtuung erfüllen, und auch 
wir sind so unbescheiden, der Propaganda und Aufklä¬ 
rung in unserem Blatte ein Verdienst, daran zuzumessen, 
daß nunmehr an die Stelle einer wahllosen Bekämpfung 
aller zionistischen Tendenzen eine Partei mit eigenen 
Richtlinien getreten ist. Auch in dem kleinen Rahmen der 
jüdischen Gemeinden bedarf es politischer Formen. 
Auch das Programm selbst, das sicherlich geeignet 
ist, allseits Sympathien zu werben, zeigt, daß die neuen 
Ideen in alle Kreise unserer Gemeinde eingezogen sind. 
Es enthält das Schlagwort „Volkstünilicher Ausbau 
der Kultus,gemeinde", Sätze wie : 4 
Wir erblicken in einer der erschwerten Da- 
seinsbedingung entsprechenden großzügigen Ausgestal¬ 
tung der sozialen Hilfstätigkeit ein dringendes hrtoi 
dernis für Gegenwart- und Zukunft . . .
	        
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