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Jüdische Nachrichten
Nr. 40
g § Aus der jüdischen Welt. § □
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Der Deklarationstag in England. Die englische Ju-
denheit feierte am 2. November den Deklarationstag mit
einer gewaltigen und eindrucksvollen Demonstration im
Operahouse in London. Lord Rothschild führt den Vor¬
sitz. Von führenden englischen Politikern waren Begrü¬
ßungsschreiben eingelaufen. Lord Curzon, der neue eng¬
lische Außenminister schrieb: „Ich habe die Ehre, Ihnen
zu versichern, — falls eine solche neue Versicherung not¬
wendig ist, was ich kaum glaube, — daß in der Politik
Sr. Majestät Regierung bezüglich der Errichtung einer
jüdischen nationalen Heimstätte in Palästina keine Ver¬
änderung eingetreten ist." Weiters wraren von Lord Ro¬
bert Cecil, Sir Alfred Mond, Lord Bryce und den Arbei¬
terführern Henderson und Clynes warme Zustimmungs-
Kundgebungen eingetroffen. Reden wurden von Lord
Rothschild (hebräisch), Sir Herbert Samuel und Nahum
Sokolow gehalten.
Eröffnung der freien Jüdischen Hochschule in Ber¬
lin. Die freie Jüdische Volkshochschule in Berlin hat in
dieser Woche die Vorlesungen ihres Herbstvierteljahres
begonnen. Der Lehrplan umfaßt gegen zwanzig Vorlesun¬
gen über Bibelkunde und allgemeine Religionswissen¬
schaft, über geschichtliche, literatur- und kunstgeschicht¬
liche Gegenstände, sowie über Zeitfragen des Judentums.
Rücktritt des englischen Verwaltungschefs in Pa¬
lästina. Aus Paris wird aus gutunterrichteter Quelle ge¬
meldet, daß General Watson, der Verwaltungschef Palä¬
stinas, demnächst zurücktreten werde. Seine Stelle werde
ein General einnehmen, dessen Sympathien für den Zio¬
nismus allgemein bekannt seien. (Wir vermuten, daß es
sich um Sir William Congreve handeln dürfte. Anm. der
Redaktion.)
Die Kraftanlagen in Palästina. Wie das „Echo" be¬
richtet, ist vor kurzem von einem norwegischen Ingenieur
namens Albert Hierth ein Plan ausgearbeitet worden, der
das Ziel verfolgt, das TYI it tell ändische Meer und das Tote
Meer durch große Kräflestationen miteinander zu verbin¬
den. Der Plan sieht einen Tunnel von etwa 60 Kilometer
Länge vor, der von Osten naxjh Westen läuft und unter
Jerusalem durchgeht, um Wasser zu dem tieferen Ende
des Jordantales zu führen. Von dieser Stelle a*is soll das
Wasser durch Röhren bis zu dem Niveau des Toten Meeres
geleitet werden und dort soll eine Kraftstation mit elek¬
trischen Maschinen die Wasserkraft in Elektrizität um¬
wandeln, um auf diese Weise Licht und Kraft dem ganzen
Lande mitzuteilen. Die Kraftstation soll auch dazu ver¬
wendet werden, um die Wasserzufuhr um den See von
Oenezareth zu regulieren und damit die Bewässerung von
einigen hunderttausend Acres Landes in die Wege zu
leiten. Sodann soll die dadurch erlangte Kraft zum Be-
trk i /on Asphaltminen in der Gegend des Toten Meeres
und in de^ Ebenen von Sodom und Gomorrha benützt
werden.
Schauturnen des /.Maccahi" in Palästina. An den
Z wisch en f e i ert agen des Sukkothfestes fand in J-erusalem
eine Tagungder jüdischen Turnerschaft Palästinas „Mac-
c'ubi" statt, an der 500 junge Leute teilnahmen. Dem
Schauturnen des „Maccabi" wohnte General Watson, der
( ■lief der britische Militärverwaltung, Colone! " Störis,
c-er Militärgouverne * von Jerusalem und Ussischkin,
Vorsitzender'der Zionistischen Palästina-Kommission bei.
Die Delegiertenversammlung in Palästina aufge¬
schoben. Das Provisorische Exekutivkomitee der palästi¬
nensischen Juden hat in seiner Sitzung vom 23. Oktober
'beschlossen, die für den 18. November angesetzte Dele¬
giertenversammlung wegen des Konfliktes über dan
Frauenstimmrecht auf unbestimmte Zeit zu verschieben.
§ § Aus dem antisemitischen Lager, g g
Wiener Sonntagsvergnügen. Seit dem deutschen
Wiener dank der Liebe seiner Brüder in den Ländern
das Leben so beschnitten ist, daß er sich nicht einmal mehr
die Hetz eines Heurigen vergönnen kann, hat er sich
ein anderes Ventil für seine überschüssige Lebenskraft
gefunden. *Ein gewisser Teil der Wiener deutschen Ju¬
gend bekämpft allsonntäglich am Donaukai den welschen
und slawischen Erbfeind, indem er Leichenzüge galizi-
scher Juden überfällt und galizisehe Juden am Bart
zupft. Daß er schließlich eine Gegenaktion herauf¬
beschworen, wird ihm aber nicht angenehm sein. Alle*
brauchen sich die Juden denn doch nicht gefallen zu
lassen und der parallele Aufmarsch der Jüdischnationa¬
len hatte am letzten Sonntag schon den Erfolg, daß die
wackeren Kämpfer, für Deutschlands Ehre ihre Helden¬
taten nicht mehr ausführen konnten. Die Wiener Polizei,
der die teutschen Jünglinge die Sonntagsruhe rauben,
wirds ihnen kaum danken.
Antijüdische Exzesse in Lodz. Der in Lodz durch
den Arbeiterrat proklamierte Streik wurde von dunklen
Elementen zum Organisieren von Überfällen auf Juden
benützt. Es kam zu verschiedenen Zusammenstößen mit
der Polizei. Obwohl die Leitung der Polizei im allge¬
meinen nichts zu wünschen übrig ließ, war das Verhalten
einzelner Polizisten vollkommen passiv und es gab Tote
und Verwundete. Abg. Rosenblatt intervenierte beim
Regierungschef und den verschiedenen Ministerien. Die
Abg. Grünbaum und Farbstein begaben sich unverzüglich
nach Lodz.
Denikins „Rechtfertigung" der Pogrome. In seinem
Antwortschreiben auf die Vorstellungen wegen der
schauerlichen Judenpogrome versucht Denikin die Ur¬
sache der Pogrome zu „erklären". Er schreibt, daß an
allen Orten, aus denen die Bolschewisten.vertrieben wor¬
den sind, massenhaft ermordete Christen, zerstörte und
geplünderte Kirchen gefunden werden, während es unter
den Juden gar keine Opfer gebe und auch die jüdischen
Synagogen .unangetastet geblieben seien. Dies reize die
einmarschierenden Soldaten, die ihren Zorn auf die jü¬
dischen Einwohner entladen. Denikin erklärt auch, daß
er einen strengen Befehl gegen die Pogrome erlassen
habe. — Laut „Jewish Times" wird jetzt in den entspre¬
chenden einflußreichen Kreisen Londons eine rührige
Tätigkeit entfaltet, um in wirksamer Weise weitere Po¬
grome so weit als möglich zu verhindern.
Massentaufen von Juden in Ungarn. Nach einer
Mitteilung der jüdischen Wochenschrift „Egyenlöseg"
haben sich in der Zeit vom Oktoberumsturz bis zur kom¬
munistischen Herrschaft 265, während der Diktatur Behl
Kuns 903 und seit der Aufrichtung des Regimes Friedrich
1121 Juden in Budapest taufen lassen. Darunter befinden
sich 32 Ärzte, 77 Advokaten, 102 Ingenieure, 11 Apothe¬
ker, "16 Professoren, 121 Fabrikanten, 402 Beamte,
95 Kaufleute, 41 Landwirte, 108 öffentliche Beamte,
12 Militärs, 12 Schriftsteller und 31 Kunstmaler.