Volltext: Nr. 37 (37. 1919)

Jüdische Nachrichten 
Nr. 37 
helfen, können wir an eine erfolgreiche Abwehr denken. 
Auf allen Gebieten geistiger Kultur glänzen die 
Namen jüdischer Männer und Frauen, nur in körper¬ 
licher Hinsicht stehen wir Juden — wenigstens bei un¬ 
serer nichtjüdischen Umwelt — noch immer im Kufe der 
Inferiorität. Teils mit Unrecht, denn es haben einzelne 
jüdische Turn- und Sportvereine im " Wettbewerbe mit 
arischen Rekordleistungen aufzuweisen, wie wir zu un¬ 
serer Genugtuung erst wieder in der allerjüngsten Zeit 
in den Tagesblättern lesen konnten. In den Augen un¬ 
serer Mitwelt haben diese Einzelleistungen nur dann fur 
die Beurteilung der körperlichen 1 üchtigkeit eine Be¬ 
deutung, wenn hinter ihnen die Masse des jüdischen 
Volkes steht und an seiner körperlichen Erziehung tatig 
mitwirkt. Alle, die wir von der Natur mit geraden 
Gliedern ausgestattet sind, müssen daran gehen, durch 
systematisches Turnen unseren Körper zu schulen, zu 
kräftigen und dadurch zugleich auch unser Selbstver- 
trauen zu erhöhen. rp 
So sehen wir, daß die Gründung des judischen lurn- 
und Sportvereines in Linz mit den Bedürfnissen unserei 
sa ernsten Zeit keineswegs in Widerspruch steht, sondern 
daß gerade in ihr die Notwendigkeit seines Bestehens 
begründet erscheint. 
Die systematische Schulung des Körpers muß schon 
in der frühesten Jugend einsetzen, deshalb sollen auch 
die Eltern heranwachsender Kinder an den Turnübungen 
regelmäßig teilnehmen, damit in ihnen das Verständnis 
für die körperliche Erziehung der Kinder geweckt und 
sie befähigt werden, diese so lange zu leiten, bis das Kmd 
selbst an den allgemeinen Turnübungen teilnehmen kann. 
Junge Mädchen, zukünftige Frauen und Mutter pflegen 
bei uns Juden viel auf gute Kleidung, weniger aber aut 
gute Haltung und körperliche Geschmeidigkeit Wert zu 
legen. Und doch wäre es gerade an ihnen, den Erziehe¬ 
rinnen unserer Jugend vom zartesten Alter an, sich selbst 
zuerst körperlich zu erziehen und zu schulen, damit sie 
durch ihr persönliches Beispiel in Haltung und Bewe¬ 
gung auf die Jugend günstig einwirken können. 
Erfreulicherweise haben die Linzer Juden fur den 
neugegründeten jüdischen Turn- tmd Sportverein regstes 
Interesse bekundet. Wie notwendig dies ist, erhellt aus 
der Tatsache, daß die kostspielige Erhaltung des Vereines 
nur dann möglich sein wird, wenn alle Linzer judischen 
Kreise als Mitglieder beitreten. Es ist der Vereinsleitung 
gelungen, einen erprobten und bewährten lurnlehrer für 
den Turnunterricht zu gewinnen, und auch die Frage des 
Turnsaales konnte dank der Bemühung des Obmannes m 
recht befriedigender Weise gelöst werden. So konnte auch 
bereits am 14. d. M. mit dem Turnen (Damenturnen) 
begonnen werden und es war eine helle I reude, die Be¬ 
geisterung für den Turnsport aus den Augen der zahl¬ 
reich erschienenen jüdischen Turnerinnen, Frauen und 
Mädchen, lesen zu können. 
Noch harrt aber eine Reihe wichtiger Aufgaben 
dringend ihrer Erfüllung; so die Anschaffung weiterer 
unumgänglich notwendiger Turngeräte, deren Kosten 
sieh den heutigen Verhältnissen entsprechend hoch be¬ 
laufen werden. Der bereits erfolgte Beitritt einer Reihe 
von G ründern, Stiftern und Förderern zeigt, daß auch die¬ 
jenigen, welche an den Turnübungen persönlich nicht teil¬ 
nehmen können, die hohe Bedeutung der körperlichen 
Erziehung des jüdischen Volkes zu schätzen wissen, und 
doch fehlen in diesen Reihen noch einzelne unserer Linzer 
Glaubensgenossen, die sonst für jüdische Angelegenheiten 
eine offene Hand und volles Verständnis' besitzen. Wir 
sind sicher, daß auch diese den tiefen Sinn unseres \\ erkes 
bald erfassen und uns ihre werktätige Unterstützung 
nicht versagen werden. Es wäre ja auch undenkbar, daß 
nur ein paar opferfreudige Juden die ganzen schweren 
Lasten des zum Wohle der Gesamtheit der Linzer .luden 
bestimmten Unternehmens tragen sollten, während die 
anderen, sei es aus Interesselosigkeit oder aus Mangel 
an jüdischem Gemeinsinn fernbleiben. 
Möge sich keiner dieser Erkenntnis verschließen und 
wer es bisher versäumt hat, der melde seinen Beitritt belm 
Obmanne des jüdischen Turn- und Sportvereines, Herrn 
Emil Bruder, Linz, Fabriksstraße 2. 
Viktor Taussig. 
Jüdischer Turn- und Sportverein. Nächsten Mitt¬ 
woch den 29. Oktober beginnen die Turnstunden für die 
Schüler und Schülerinnen (unter 14 Jahren). Die genaue 
Turnzeit wird noch bekanntgegeben werden. Anmeldun¬ 
gen werden ab Freitag den 24. d. M. bei Herrn Viktor 
Taussig, Urfahr, Hauptstraße 63, entgegengenommen. 
Simchath-Thora. Es war eine glückliche Idee der 
Linzer Kommission des Jüdischen Nationaltonds, die 
Werbung für seine Zwecke durch eine hübsche Agitation 
bei unseren Kleinen zu unterstützen. Die Simchatli- 
Thorafeier ist wie keine andere geeignet, jüdisches Ge¬ 
meinschaftsgefühl in den Herzen der Kinder zu erwecken, 
die sich an diesem Tage als tonangebenden im Gottes¬ 
hause fühlen dürfen. Die fröhliche Sitte, daß die Feier 
der Gesetzesfreude von den Kindern durch einen Umizug 
und Fahnenschwenken gefeiert wird, erlebte eine erfreu¬ 
liche Wiederauferstehung. Das blau-weiße 1 amer, mit 
allerlei Emblemen verziert, hatte die Allemherrschait 
übernommen, und durch die an alle Kinder erfolgte Ver¬ 
teilung der Fähnchen ist uns der lächerliche Anblick 
erspart geblieben, daß vergeßliche Eltern ihre Kiemen 
mit der deutsch nationalen Trikolore oder -im ersten 
Jahre der Republik — horribile dictu — mit den larben 
des alten Regimes in den Tempel schickten. 
Hoffentlich brachte die Aktion auch dem Judischen 
Nationalfonds einen kleinen Ertrag. 
Geselligkeitsverein „Unitas". Sonntag den 26. Okto¬ 
ber 1919 10 Uhr vormittags, findet im Sitzungssaal der 
israelitischen Kultusgemeinde die Generalversammlung 
dieses Vereines statt. Näheres ist aus der Anzeige in 
unserem Blatte zu ersehen. 
Trauunp. Sonntag den 26. Oktober 1. J. findet irn 
Tempel die Trauung des Herrn Markus H i r s c h f e 1 d 
mit Fräulein Emma Spira um x/s 11 ^hr vorm- 8tatt- 
Amstetten. 
Antisemitismus an den Mittelschulen. An einer 
Mittelschule im Sprengel der hiesigen Gemeinde ging die 
Unverfrorenheit der antisemitischen Schülerschaft so 
weit, daß sie ihre judenfeindlichen Pamphlete sogar im 
Schulgebäude zur Verbreitung brachten. Und als die 
jüdischen Schüler von der Direktion Abstellung dieses 
Unfuges erbaten, sah sich diese merkwürdige Erziehungs¬ 
behörde zu keinem weiteren Schritt veranlaßt, als daü 
sie die antisemitische Agitation nur auf die Straße ver¬ 
wies. In diesem Zeichen wächst die Intelligenz unseres 
Staates heran .... 
Simchath-Thora-Feier. Mit dem ersten Flügelschlag 
hat der „Jüdische Volksverein" durch den am 18 d. M. 
im Hotel Schmidt veranstalteten geselligen Abend seine 
Daseinsberechtigung bewiesen. Eine ungezwungene unü 
gemütliche Unterhaltung vereinigte die Glaubensgenossen 
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