Volltext: Nr. 37 (37. 1919)

Nr. 37 
Jüdische Nachrichten 
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g g Aus den Gemeinden. § R 
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Linz. 
Zur Lage der Lfnzer Israelitischen Kultusgemeinde. 
Eine Erwiderung. 
In Nr. 33/34 der „Jüdischen Nachrichten" hat Herr 
Kultusvorsteher Schwager die trostlose Finanzlage 
der hiesigen Kultusgemeinde erörtert. Es scheint mir 
dies um so dankenswerter, weil ich — und sicherlich 
auch der Großteil der Gemeindemitglieder — es für 
ersprießlich halten, wichtige Angelegenheiten vor das 
Forum der gesamten Gemeinde zu bringen und unter 
deren Mitwirkung zu lösen. 
Die finanziellen Schwierigkeiten waren stets ein 
Sorgenkind der verschiedenen Kultusgemeinden und bil¬ 
deten meistens das einzige Hindernis bei der Durch¬ 
führung wichtiger Aktionen. Unsere Gemeinde, die be¬ 
sonders in der letzten Zeit in manchen Fällen die Ini¬ 
tiative ergriff, ohne sich von eventuellen Konsequenzen 
abschrecken zu lassen, kam durch die genannten Gründe 
wiederholte Male in die Lage, Agenden, von deren Kom¬ 
petenz und Notwendigkeit sie überzeugt war, von sich 
zu weisen 
Die Linzer Kultusgemeinde hat durch die Prokla¬ 
mierung des demokratischen Wahlrechtes zur Genüge 
bewiesen, daß sie den neuesten Zeitverhältnissen Rech¬ 
nung trägt und sich dabei von keinerlei Nebenströmungen 
in ihrer Handlungsweise beeinflussen läßt« 
Die Sanierung der Gemeindefinanzen an Hand der 
folgenden Vorschläge würde zu einem überraschenden 
Resultat führen. Die Kultusvorstehung wäre m der Lage, 
schon im ersten Jahre einen großen Teil der rempel- 
schuklen, die sie seit Jahrzehnten belasten, ohne Auf¬ 
nahme einer Anleihe unter den Gemeindemitgliedern zu 
tilgen und allen ihren finanziellen Verpflichtungen ohne 
Schwierigkeit nachzukommen Dabei könnte eine Reihe 
neuer Einrichtungen geschaffen werden und auch ein be¬ 
trächtlicher Reservefonds würde sich von selber bilden. 
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Zu diesem Zwecke wären folgende Maßnahmen zu 
empfehlen: 
1. Die in Vorschlag gebrachte 10% ige Erhöhung der 
Steuern erscheint nicht geeignet, auf die Dauer die Ge¬ 
meindefinanzen zu sanieren, vielmehr wäre mit der bis¬ 
herigen Form der Steuerbemessung vollständig zu bre¬ 
chen und an ihrer Stelle ein bestimmter Prozentsatz von 
der staatlichen Personaleinkommensteuer für Kultus¬ 
zwecke durch die Kultusgemeinde einzuheben. Ich bin 
deshalb ein Gegner der jetzigen Art der Steuerbemessung, 
weil mir der gegenwärtig eingehaltene Modus undemo¬ 
kratisch und den tatsächlichen Verhältnissen wenig ent¬ 
sprechend erscheint. Die Objektivität der Steuersehät- 
zungskomtoission in Ehren — bei allem guten Willen, 
sich nur von rein sachlichen Gründen leiten zu lassen, 
spielen doch persönliche Beziehungen und Bekanntschaf¬ 
ten eine nicht unbedeutende Rolle und hindern eine freie^ 
Entschlußfähigkeit. Der Prozentsatz, der nach den ver¬ 
schiedenen Stufen von der ausgewiesenen Gesamt Schuldig¬ 
keit der Personaleinkommensteuer festzusetzen wäre, 
wird sich beispielsweise bis zu einer Höhe von 15% be¬ 
wegen, dagegen*für die kleinen Steuerträger nur 5% oder 
noch weniger betragen. So käme eine gerechte Steuer¬ 
leistung zustande, die zu erreichen die bisherigen Steuer¬ 
schätzungskommissionen der Kultusgemeinde vielleicht 
bemüht waren, die sie aber durch das einzige Hilfsipittel, 
das ihnen zu Gebote stand, die freie Schätzung, naturge¬ 
mäß nicht erreichen konnten. Das erste Erfordernis zur 
Durchführung dieser Reform wäre die Vorlage der staat¬ 
lichen Steuervorschreibungen; eine diesbezügliche Vor¬ 
stellung bei den kompetenten Behörden würde dies sicher¬ 
lich ermöglichen. 
Mit dieser Änderung der Steuerbemessung würde 
der schon seit langem unzeitgemäß gewordene Paragraph 
der höchsten Steuergrenze automatisch fallen. 
Eine durchschnittlich 10% ige Besteuerung würde 
eine ziemlich sichere Einnahme von 60.000 K in Linz- 
Urfahr einbringen, wozu die oberösterreichische Provinz 
mit einem nicht unbeträchtlichen Prozentsatz dieses Be¬ 
trages noch zuzurechnen wäre. 
2. Die durch frühere Beschlüsse erfolgten Annahmen 
von einmaligen Abfindungen oder ähnlichen Abkommen 
sind, schon mit Rücksicht auf ihre Statutenwidrigkeit, 
aufzuheben und die Steuerträger nach dem Modus des 
Punktes 1 zu behandeln. 
3. Die bestehenden Mieten der Tempelsitze entspre¬ 
chen nicht mehr den herrschenden Verhältnissen; ein 
Sitz in der ersten Reihe mit 30 K pro Jahr verträgt einen 
Aufschlag in derselben Höhe. Die Mieten der folgenden 
Reihen sind entsprechend mit einem Aufschlage zu ver¬ 
sehen. Ein ganz roher Überschlag gibt auch hier die 
Möglichkeit einer jährlichen Mehreinn ahme von etwa 
3000 K, die noch beträchtlich erhöht werden könnte 
durch eine freiwillige jährliche Abgabe der zahlreichen 
Besitzer und Nutznießer von Eigentumssitzen. 
Der Schreiber dieser Zeilen, der obige Reformen 
einzig und allein im Interesse einer gedeihlichen Weiter¬ 
entwicklung der Kultusgemeinde in Vorschlag bringt, 
würde es freudig begrüßen, wenn auch von anderer Seite 
Anregungen zur Gesundung der Gemeindefinanzen er¬ 
folgen sollten. Riehard Kafka. 
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Da das im Vorstehenden behandelte Thema ein 
Kernproblem unserer jüdischen Gemeinden berührt und 
dadurch Interesse in allen Gemeinden erregen dürfte, 
wäre es gewiß erfreulich, wenn durch eine Diskussion 
über diese Frage in unserem Blatte einer gedeihlichen 
Lösung derselben die Wege geebnet würden. 
Die Redaktion. 
Zur Gründung des Linzer jüdischen Turn- und Sport¬ 
vereines. Wie wichtig in unseren bewegten und für das 
jüdische Volk geradezu kritischen Tagen die Frage seiner 
körperlichen Erziehung geworden ist, haben uns die ver¬ 
gangenen Wochen in Wien deutlich gezeigt, wo ein paar 
hundert jüdische Turner sich einer Flutwelle des anti¬ 
semitischen Pöbels entgegenstellten und dank ihrer per¬ 
sönlichen Tapferkeit ihre Stammesgenossen vor dem 
Ärgsten bewahren konnten. 
Es ist eine auch von der Gegenseite anerkannte Tat¬ 
sache, daß jeder bewußte Jude bereit ist, für sein Juden¬ 
tum einzustehen, es gegen Angriffe zu verteidigen und 
nicht nur seine Familie, sondern auch seine bedrängten 
Brüder zu schützen. Die geistige Abwehr und der Wille, 
uns und die Unseren zu verteidigen, vermögen aber gegen 
die tierischen Instinkte einer aufgereizten Volksmenge 
wenig auszurichten, ebensowenig wie wir uns darauf ver¬ 
lassen können, daß cfte offiziellen Sicherheitsorgane uns 
im Falle eines Angriffes ausreichenden Schutz bieten 
werden. Nur dann, wenn wir nicht nur geistig, sondern 
auch körperlich imstande sein werden, uns selbst zu
	        
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