Volltext: Nr. 14 (14. 1919)

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herziger Egoismus fallen gelassen würde und auf beiden 
Seiten nicht Personen, sondern die Idee, die gemeinschaft¬ 
liche Idee des lebendigen Judentum», das W ichtigste 
wäre, damit hätte man auch schon einen großen Schritt 
zur Einigkeit und Geschlossenheit gemacht. 
Erkennen wir alle — soferne wir uns nur zum 
lebendigen, zukunftssarken Judentum bekennen, daß im 
Ziele, der gesunden Fortentwicklung unseres Volkes, 
frei von Hemmungen und fremden Einflüssen (seien wir 
auf Erez Israel oder auf den Gallith eingestellt) kein 
Unterschied besteht zwischen links und rechts. 
Wenn dieser Zukunftsglaube sieh auch in ver 
schieden scheinende l onnen kleidet, wenn die Wege aucij 
so voneinander abweichend sind, über alles ^ I lennend* 
und Verwirrende müssen wir erfassen, daß wir Ein¬ 
heit sind; muß uns zum Bewußtsein kommen, daß, um 
eine starke Einheit zu sein, Einigkeit not tut. Und darum 
das Gebot der Stunde — dringender heute denn jej 
schärfer für uns zerstreute, schwache Juden der 1 rovinz. 
Sammlung in uns selbst und, soweit es lempera 
ment und Leidenschaft zulassen, Einigkeit des Streben, 
und Handelns. 
Nationale Autonomie. 
Die Palästinaforderung bildet die Grundlage der 
neuen Zukunft, die das jüdische Volk bauen will, sie 
kennzeichnet die neue historische Situation, die der na¬ 
tionale Wille des Judentums geschaffen hat; sie ist das 
Symbol und die Basis unserer neuen Daseinsform, die 
wir wollen. Ihr zur Seite tritt die zweite konstitutive 
Forderung des jüdischen Friedensprogramms, .jene, die 
die jüdische Gegenwart regeln, die gegenwärtige Lage 
unseres Volkes regulieren und normalisieren will, die 
das Symbol und die Ausdrucksform unserer nationalen 
Rechte und Ansprüche in allen Ländern, in denen wn 
leben, darstellen soll: die Forderung d er n a ti o- 
n a 1 e n Autono m i e. Die Proklamierung dieser 1- or¬ 
derung durch das jüdische Volk, ihre Proklamierung 
durch den Zionismus hat vor allem eine grundsätzliche 
Bedeutung: sie besagt, daß, wenn auch Palästina die 
höchste Forderung des jüdischen nationalen Willens ist, 
das jüdische Volk doch damit nicht seine Ansprüche in 
der Diaspora preisgibt, vor allem nicht den Anspruch auf 
eine dauerhafte prinzipielle Anerkennung und Sicherstel¬ 
lung seiner nationalen Existenz in der Diaspora. Die 
Forderung der nationalen Autonomie bedeutet iaktisei 
die Bejahung des Gallith: die Anerkennung des Ga- 
luth als eine der beiden künftigen Daseinsformen unseres 
Volkes neben Palästina. 
Dies ist nach zwei Richtungen hin von Bedeutung, 
einmal jenen assimilatorischen Tendenzen gegenüber, die 
wohl für Palästina ein nationales Judentum zugeben wol¬ 
len es für.'die Diaspora jedoch bestreiten und ablehnen; 
und sodann gewissen ideologisch radikalen Lehren mnei- 
halb des Zionismus gegenüber, die die Diaspora überhaupt 
verneinen und ein nationales Judentum nur in I alastina 
für möglich halten. Die in beiden Tendenzen liegende 
Trennung von Palästina und Diaspora wird durch die 
Forderung der nationalen Autonomie abgelehnt. Den 
Assimilanten sagt diese Forderung: Wir Juden sind eine 
Nation, wo immer wir leben und haben daher Anspiuch 
auf nationale Rechte, wo immer wir leben. Ob wir die 
Diaspora bejahen oder verneinen, ist, unsere eigene An¬ 
gelegenheit; den anderen Völkern erkennen wir kein 
Recht zu, uns die Diasporaexistenz zu bestreiten und aur 
Palästina zu verweisen. Palästina ist unser Recht, es 
darf uns kein Zwang sein; es ist das Land dahin wir 
wollen, nicht das Land, dahin wir müßten. Wollen wir 
unsere Galuthexistenz ändern, so ist es unsere Sache; kein 
Fremder hat das Recht, solche Änderung zur Voraus¬ 
setzung der Erfüllung unserer nationalen Ansprüche zu 
machen. 
Im Jüdischen Verlag Berlin 191» erschien die interessant, 
und aktuelle Broschüre von Nachum Gold mann: „Die <m 
Forderungen des jüdischen Volkes", welcher der nachfolgende 
Aufsatz entnommen ist. Die Kect| 
Der Ideologie der galuthverneinenden Zionisten abei 
ruft diese Forderung zu: Palästina und die Diaspora sind 
keine sich ausschließenden Gegensätze, sie sind eine Ein¬ 
heit. Palästina und die Diaspora sind zwei Dasemsforrtiei 
des jüdischen Volkes, Palästina die höhere, reinere, har 
monischere, die Diaspora die problematischere, schwie¬ 
rigere, spezifischere; das jüdische Volk aber bildet erat 
Einheit in seine beiden Daseinssphären. Wir sind nicht 
so ideologisch verrannt, um die Diaspora, das hrgebni 
einer jahrtausendelangen Entwicklung unserer " 
schichte, durch ein Dekret oder der logischen Konsequenz 
einer Theorie zuliebe zu verneinen. Höher als alle 1 heo 
rie steht uns die Realität unseres nationalen Daseins. Wn 
'sind das Palästinavolk; sind wir nicht auch das Diaspora- 
volk« Hat unser Volk nicht, einen großen reichen pnd 
-bedeutsamen Teil seines Daseins in der Diaspora ^e < '' 
Wir sind ein Volk sui generis; wie die Theorie der iNaf 
tionalität der anderen Völker sich nicht auf uns ohm 
weiteres übertragen läßt, so gleicht auch unsere Situation 
und Existenzform nicht der der anderen Volker. IM; 
Volk — ein Land, gut und richtig für die anderen. VM 
aber haben Palästina und die Diaspora, sind das Volk (I.¬ 
Erde, wie wir dasjenige Erez-Israels sind. Wir bejahe« 
unsere Geschichte wie sie ist. Schuf sie die Diaspora, « 
hat dieses seinen großen legitimen Sinn. Unsere nein 
Zukunft, die uns Palästina wiedergeben wird, soll w 
reicher machen, nicht ärmer. Nicht Palästina statt de 
Diaspora, sondern Palästina neben der Diaspora. Daran 
proklamieren wir als__z weites Postulat unserer nation.i t- 
Zukunft neben Palästina die Forderung der nationale 
Autonomie in der Diaspora. 
Die konkrete Form der Erfüllung dieser Forderum 
wird in den verschiedenen Ländern verschieden sein. I.» 
Problem der nationalen Autonomie der Minoritäten <• 
überhaupt so jung, theoretisch so schwierig und prakti«-; 
so durchaus ungeklärt, daß seine Einzelheiten s<ch 
priori nicht feststellen und fixieren lassen. Es ist i" 
sonders schwierig und ungeklärt in seiner Anwendim 
auf die Judenfrage, da auch hier, wie nach allen ander1 
Hinsichten, die Lage unseres Volkes prinzipiell und J» 
tisch von der der anderen Völker verschieden ist. Sie 1 
in jedem Lande anders und es wird daher in jedem W 
zelfalle die Autonomie besonders zu regeln sein. Ob \<» 
nationalpolitische oder nur nationalkulturelle Autonom1' 
ob besonderes Wahlkataster oder nicht, ob Gesamta» 
nomie oder Gemeindeautonomie, das ist für jedes U . 
speziell zu regeln und läßt- sich keinesfalls schema«* 
und generell festlegen. Grundsätzlich gilt nur die
	        
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