Volltext: Bruckner-Blätter Nummer 1/2 1932 (Nummer 1/2 / 1932)

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Zehn Jahre nach der „Solemnis“ schuf der damalige Domorganist 
aus lodernder Künstlerseele die D-moll-Messe, jenes Werk, das 
wie die darauffolgende 1. Symphonie über alles Hergebrachte frisch hin 
ausgeht und seinen Schöpfer als freiwaltenden, souveränen Meister so 
wohl in der Thematik, wie in der Form und ganz besonders in der 
symphonisch-romantischen Orchestrierung erkennen ließ. Mit der D-moll- 
Messe erscheint zum ersten Male klar umrissen Bruckners Künstler- 
Format, das im Lauf der Zeit nur immer heller und bestimmter her 
vortrat. Die Synthese „symphonische Messe“, welche dann in der F moll 
ihren Gipfelpunkt erreichte, war an sich eine gewagte Sache, weil durch 
sie das liturgische Moment, dem schließlich alle kirchliche Musik dienen 
muß, leicht Schaden leiden konnte. Allein im Musikanten Gottes fanden 
sich die Vorbedingungen für ein Gelingen dieses Wurfes glücklich ver 
einigt, nämlich tiefe Frömmigkeit und wahres Künstlertum. Wer auch 
nur die Einleitung zum Kyrie vernimmt, diese demütige, ehrfurchtsvolle 
Geste, kann schon nicht mehr gleichgültig und indifferent bleiben. Er 
fühlt, hier ist Geist und Wahrheit. Und wie es dann zu flehen beginnt, 
immer dringlicher, vertrauensvoller, in Oktavsprüngen und abwärtszie 
henden Tonskalen! Der Gloria-Hymnus mit der glanzvollen Schlußfuge. 
Die Tongemälde des Credo: das zarte, süße Geheimnis der heiligen 
Nacht, das Leiden und der Tod Jesu, die Auferstehung, das Gericht . . . 
das Gericht! Auch das Sanctus, für den ersten Moment an Haydn oder 
Mozart gemahnend, weist ureigene Prägung auf, speziell in den kontra 
punktischen Linien des Orchesters. Im Benedictus schwelgt sich der 
Meister aus, ein Wiegen und Singen der gottentflammten Seele. Sakra 
mentslyrik. Und der wunderschöne letzte Friedensruf im Dona, mit den 
Themen des Kyrie und „Et vitam venturi“! Die Messe ist im allgemeinen 
in lichtsatte, hellfreudige Farben getaucht, wie denn Bruckner überhaupt 
bei allem tiefen Ernst, mit dem er uns bisweilen entgegentriitt, nichts wei 
niger denn ein Grübler ist. Auch 1 in diesem Werke finden wir jenen erd 
entrückten, überirdisch anmutenden Ausklang, ohne den Bruckner keine 
seiner liturgischen Kompositionen abschließt. Mäyfeld, einer der wenigen, 
die des Meisters Größe voll erfaßten, schrieb nach der Uraufführung 
der Messe am 20. November 1864 im alten Dom, daß „Bruckners Ge 
stirn zum ersten Male im vollen Glanz leuchtend emporsteigt“. . . 
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Ein ganz apartes Kunstprodukt, eine wahre Zimelie, stellt dar die 
E-moil-Messe für (teilweise) 8stimmigen Chor und 15fache Bläser 
harmonie. Gewissermaßen aus der Not des Herzens geboren (1866), hat 
dies Werk durch seine Erhabenheit und seinen Kunstwert eine Aus 
nahmsstellung in der kirchenmusikalischen Literatur. Vielfach archaisie 
rend, bei unerbittlich logischer Thematik und herben Überschneidungen, 
tritt der Meister wie ein Mystiker vor uns hi|n und bunt zunächst im 
Kyrie und namentlich im Sanctus einen hohen gotischen Dom. Dann 
aber welcher Stil- und Stimmungskontrast im Gloria und Credo! Er- 
steres mit genial einfachen Begleitfiguren untermalt, jn eine kühne, 
hinreißende Fuge ausmündend, letzteres, in prägnantester Form, stürmt 
in einem Schwung ohnegleichen dahin bis zur lieblichen Kantilene des 
Et incarmatus est. Wes Herz könnte beim Abgesang des Crucifixus durch 
einen Posaunenchor (eine Bruckner-Spezialität aus der Florianerzeit!) 
kalt und unempfindlich bleiben! Dann jagt er wieder dahin, hämmert 
uns mit verblüffend einfachen Mitteln das Judicare in diie erschütterte 
Seele, zieht frühere Themen heran und schließt nach manch inbrünsti 
gem Akzent mit einem zweimaligen, glaubensstarken Amen. Das ist der 
Pinsel Michelangelos! Eine mystische Welt für sich das Benedictus! 
Diese überzarten Halbtonrückungen konnte sich wohl nur ein Bruckner 
Teisten. Der überwältigende Hosannaschluß nach der vorausgehenden 
herben und nicht leicht darzustellenden Wendung! Im Agnus die wei
	        
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