Volltext: Innviertler Kalender 1941 (1941)

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Oes Kriegers letzte Melodie 
Das Volkslied vom „Guten fiamcradcn", das der Zufall schuf 
Vor nunmehr 115 Jahren entstand das Lied vom „Guten 
Kameraden", diese ergreifende Weise,.die überall da ertönt, wo ein 
tapferer Soldat zur letzten Ruhe getragen wird. 
An einem Junilag des Jahres 1825 hatte man in Tübingen, 
der alten schwäbischen Universitätsstadt, einen hoffnungsvollen 30- 
jahrigen Mann zu Grabe getragen. Schmerzerfüllt warf sich der 
junge Musikdirektor Friedrich Silcher in seinen Armstuhl unb 
überdachte den letzten bitteren Gang seines Freundes. Eine tiefe 
Traurigkeit war in ihm und sinnend eilte feint Blick zum offenen 
Fenster hinaus, durch das der Wind den Regen hereinpeitschte, 
Plötzlich wehte ein weißes Etwas durch den Raum, ein Stück Pa¬ 
pier, das irgendwo in der Traufe gelegen haben mag, bis es der 
Sturm emporwirbelte und dem Einsamen vor die Füße trug. Ge¬ 
dankenlos und mechanisch griff Silcher darnach, strich das zerknüllte 
Papier glatt und betrachtete es. 
Plötzlich sprang er auf. Was las er da für merkwürdige Worte, 
die seinen Schmerz verstanden. „Ich hatt' einen Äameradm, einen 
bessern findst du nit..sagten die Zeilen des Blattes, Es stammte 
von einem der literarischen Almanache, die in jener Zeit von Hand zu 
Hand gingen. Dann waren die Worte abgerissen und nur mehr ver¬ 
einzelte Stellen lesbar. Silcher wußte nicht, wie es geschah, das» 
auf einmal seine Hände über das Spinett glitten, daß sie weh? 
mutig und leise die Tasten strichen und eine erschütternde Melodie 
erklingen ließen. Eine Stunde lang währte dieser ergreifende Nach¬ 
ruf in Noten, dann mahnte die Pflicht. 
Tagelang lagen die Noten zu einem der schönsten Volks- und 
Soldatenlieder, das Deutschland besitzt, unberührt in der Schub¬ 
lade. Es war in der Melodie jast schon fertig, obwohl sein Schö¬ 
pfer noch nicht einmal den vollständigen Text kannte. Zwischen den 
Bleistiftskizzen auf den Notenblättern lag immer noch das zer¬ 
schlissene Blatt Papier, das damals der Wind ins Zimmer getragen 
hatte. Silcher wußte zwar schon, daß das Gedicht von Ludwig 
Uhland stammte, der auch in Tübingen wohnte, aber im Drang 
der Arbeit hatte er noch keine Zeit gefunden, sich den vollständigen 
Text zu besorgen. Da traf er eines Tages mit dem Dichter in der 
Universitätsbibliothek zusammen und bat ihn, ihm den vollständigen 
Tert zu schicken, da er das Gedicht vertonen wolle. 
Ant nächsten Tag brachte Uhland selbst die Verse in die Woh¬ 
nung Silchers. Einen Abend lang saßen sich die beiden Männer ge¬ 
genüber. Der Musiker hatte kaum ein paar Takte seiner rührenden 
Melodie gespielt, als ihm der Dichter in ehrlicher Ergriffenheit dje- 
Hand gab und die prophetischen Worte sprach: „Wenn wir beide 
längst nicht mehr sein werden, wird immer noch da, wo die deutsche 
Zunge erklingt, dieses Lied gesungen und gespielt werden." So 
hat das Lied vom guten Kameraden ein merkwürdiges Geschick
	        
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