Volltext: Innviertler Kalender 1938 (1938)

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Das Gebet der Nonne 
Von Max Karl. 
Draußen vor den Fenstern hämmerte der Adventabend durch 
die Straßen der alten d Kitschen Stadt. Der junge Freiherr setzte 
sich roS Fenster und ließ die Stimmung des Dämmerabends be¬ 
haglich! auf sich wirken. Vom Kamin her strömte tim wohlige 
Wärme. Der Freiherr zündete sich eine Zigarre an. In kleinen 
blauen Ringen schwebte der Rauch! zur Decke. Und sinnend sah der 
Freiherr den Rauchringlein nach. Er träumte sich hinein in den 
Ban eines Luftschlosses . . . 
Gewiß, so- wird er es machen! So soll stich seine Zukunft ge¬ 
stalten : vornehm, mich, glänzend! Wie sollte dies auch! unmöglich 
sein? Durchaus nichit! War er nicht aus reichem, vornehmen 
Hause? Hatte er nicht hervorragende Talente? War er nicht 
auch körperlich ein stattlich!«, schöner Mann? Sein Staatsexamen 
als Jurist hatte er gemacht; eine glänzende Zukunft im Staats¬ 
dienste war ihm auf jeden Fall sicher. Bei seinen Talenten, seinen 
Verbindungen, dem Rainen einer hochangesehenen deutschen Ädels- 
familie — wer sollte da noichi zweifeln wollen, daß Ehre, Gennß, 
Ansehen und Vermögen am Lebenswege des jungen Freiherrn 
fehlen würde? Rein, d«EbeN gab es keinen Zweifel! Wird nie 
einen geben! Strahlend wie die Sonne lag sein Leben vor! ihm. 
Die Mauert Schatten der Dämmerung 'fielen tiefer und tiefer. 
In den Straßen blitzten schon Laternen auf. Der Freiherr 
lehnte sich in seinen Lehnstuhl zurück. Die angenehme Wärme, die 
vom Kamin her strömte, legte sich lockend und schmeichelnd1 um das 
Lockenhaupt des jungen Mannes. Die Zigarre war ausgegangen. 
Sie entfiel seinen Händen... 
In der Gcke neben dem Kamine bildeten sich auf einmal feste, 
plastische Konturen. Konturen, die aussahen, wie eine strahlende 
Wolke. Und in dieser Wolke — wahrhaftig das ging nicht mehr 
mit reichten Dingen zu — bildete sich langsam eine scharf umrissene, 
strahlende Gestalt . . . Eine Gestalt mit den Zügen deS Heilands ! 
Wahrhaftig — der Herr Jesus selber! Und ein weiteres Bild trat 
auf: vor ihm eine Ordensfrau. Eine Laienschwester im ärmlichen 
und groben Gewände, deren Hände von harter Arbeit mit Schwie¬ 
len bedeckt waren. . . Und die Orhensfran kniete vor dem 
Herrin, flehend hob sie ihre Hände und es war, als ob von die¬ 
sem Bilde die Worte klangen: „Siehe, sie betet ohne Unterlaß 
für Dich?" 
Dann verschwand -aS Bild. Die Buchenscheiter knisterten 
weiter im Kamin. Im Zimmer war es nun wirklich! dunkel ge- 
wiorden. Mit einer! riaifchen Bewegung schrat der Freiherr Mf, 
Er wußte nichit, wie ihm war. Was war das wohl? Ein Traum¬ 
bild? Gewiß, er war eingenickt. Gewiß, es konnte nur ein Draum^ 
bild gewesen sein! Ganz lebhaft stand es noch vor seinem! Auge. 
Und besonders waren es diel Züge der Schwester, die eisenhart in 
seinem Gedächtnisse hafteten. Eisenhart!
	        
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