Volltext: Innviertler Kalender 1932 (1932)

0 Muttersprache, Ichön und weich! 
€ins der wunderbarsten Güter der Menschen ist die Sprache. Sie 
baut auf und zerstört, sie verbindet und reißt auseinander, sie trägt im 
gebet zu Gott empor und schleudert durch die Lüge in Böllengründe. 
CUie alles ganz Große wird sie uns entweder zum Segen oder zum 
fluch, zum Reiligtum oder zur Lästerung, trotzdem ist sie eins unserer 
kostbarsten Güter. Sie ist die stärkste Bindung zwischen Mensch und 
Menschen. Durch sie tritt der Mensch aus sich selbst, aus feiner Verein¬ 
samung heraus und zwingt andeie, an feinem Schicksal teilzunehmen. 
Sie ermöglicht die Gemeinschaft und wird mit der Gemeinschaft entwickelt. 
Sie erzieht und zwingt Gemeinschaft zu Gemeinschaft, bis aus den vielen 
das einheitliche Uolk, die mächtige Ration entsteht, deren alles verbindende 
Einheit sie — die Sprache — ist. Die Sprache entwickelt sich und wächst 
mit ihrem Uolk und ihr Uolk wächst mit ihr. ln der Sprache eines Uolkes 
spiegelt sich dessen eigenartige Geschichte, fein Werdegang durch die 
Jahrhunderte wider, das Lichtvolle und Dunkle feiner größten Erlebnisse- 
Darum muß, wer ein Uolk recht verstehen will, dessen Sprache verstehen, 
und wer dauernd mit einem Uolke in verstehender Liebe verbunden kin 
will, die Sprache dieses Uolkes sprechen. UJer von feinem Uolke auszieht, 
um sich in der fremde eine neue Beimat zu suchen, muß die Sprache 
feines Gaftvolkes erlernen, wenn er dort vorwärtskommen, wenn er feine 
Umgebung verstehen will. Wenn er aber kein Judas werden will an 
feinem eigenen Uolke, aus dessen Mitte er hervorgegangen ist, dem er 
alles verdankt, was er an inneiftem Seelenleben besitzt, wenn er es nicht 
verleugnet oder verraten will, muß er auch in der fremde festhalten an 
der Sprache feines Stammvolkes, sie als Heiligtum pflegen und wahren 
und sie als bestes Erbe feinen Hindern mit auf ihren Lebensweg geben. 
Denn durch die Sprache kann er innerlichst mit feinem Uolke verbunden 
bleiben. Muttersprache! Das ist das Zauberwort, das ungeahnte 
Schätze in sich birgt. Das Liebste und das Hottbarste in ein Wort 
zusammengefaßt. Das wunderbare Gefäß höchster und reinster Liebe, 
tiefften Gemüts und heiligsten Opferfinns und das kostbare Organ, durch 
das uns diele Liebe und Güte vermittelt wird. Muttersprache! Ueber 
Raum und Zeit hinweg webt Muttersprache ein unzerreißbares Band um 
ihre Rinder. Ob du in Nordamerika wohntt oder in Südamerika, ob in 
Asien oder in Afrika, ob in den italienischen Alpen oder in den Kar¬ 
pathen — wenn du in deinem Beim mit deinem Weibe, mit deinen 
Hindern in der deutschen Mundart deiner Beimat, in deiner Muttersprache 
sprichst, so bist du noch ein Glied des großen deutschen Uolkes. so bitt 
du noch durch ein innerstes Band mit deiner Urheimat verbunden und
	        
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