Volltext: Innviertler Kalender 1932 (1932)

38 
Seine Zrau stand vor ihm, jene Zcau, die einmal die 
seine gewesen war und die sich von ihm gewandt, als ihr 
Rind gestorben. 
„Edith, du?" fragte er unsicher und stand auf. 
Sie sah an ihm vorbei) ziellos glitt ihr Blick durch die 
Dämmerung. „Ich muhte kommen, Karl," erwiderte sie, „denn 
mir war, als drängte mich unsere arme Hnnp, mein kleiner 
Weihnachtsengel, dazu. Ich habe lange gezögert, aber endlich 
doch nachgegeben und nun bin ich da, bin gekommen, dir 
ihre Weihnachtsüberraschung vom vorigen Jahr zu bringen." 
„Ich verstehe nicht recht," entgegnete er, der sie unver¬ 
wandt betrachtete. 
Sie hatte ein Paket auf den Tisch gestellt und enthüllte 
einen Phonographenapparat. 
„Kinder haben oft seltsame Einfälle," sagte sie dabei, 
„und man lächelt gern darüber. Und doch kommen dann 
wieder Stunden, da meint man, die Kinder müßten schon 
Engel gewesen fein, als sie diesen oder jenen Einfall gehabt. 
Sieh, Karl, um dich zu überraschen, hat die liebe sinnt) voriges 
Jahr ein Weihnachtslied gelernt, das sie unter dem Christbaum 
fingen wollte. als du uns aber allein gelassen, da wollte sie 
nichts davon wissen, dich am anderen Morgen mit dem siede 
zu erfreuen, sondern fang es, unter dem Christbaum stehend, 
in den Phonographen hinein, den sie ja schon oft zur Kurz¬ 
weil benützt hatte. Huf diese Hrt, meinte sie, die Weihnachts- 
Überraschung festgehalten zu haben. Ich habe dir nie davon 
gesprochen, denn feit des Kindes Tod redeten wir ja kaum 
etwas zusammen. aber heute war es mir, als mühte ich zu 
dir kommen, dir das Weihnachtslied deines Kindes bringen." 
Endlos war der friede der heiligen Winternacht und war von 
taufend süßen Märchen erfüllt. 
In dem Zimmer lag stiller Dämmerfchein und durch diese 
Dämmerftille Klangen die bestrickenden Töne einer holden 
Kinderstimme: 
„Stille flacht, heilige flacht, 
fllles schläft, einsam wacht. 
Nur das traute, hochheilige paar ..." 
war es ein Engel, der die Worte der seligsten Verheißung, 
fang, war es ein Engel der segnend durch das Zimmer 
schwebte? 
Atemlos lauschten die Eltern dem Lied ihres toten Kindes. 
Not und seid und doch ein wenig sebenshoffnung im herzen. 
So faßte der Mann die Hand der Frau, die sich willig feinem 
Drucke überlieft. 
aus der Dunkelheit glitt die Erinnerung, hold und schon, 
mit dem stillen fächeln der Wehmut auf den süßen Zügen. 
Lind sie legte milde, weiße Hände auf blutende herzen, und 
sie fang das schönste Weihnachtslied: 
„Stille Nacht, heilige flacht . . ."
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.