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Und aus dem vämmerschein glitt die Erinnerung; aber
nicht schön und lockend mit dem stillen fächeln der Wehmut
aus den verblaßten Zügen. Die Erinnerung war quälend und
hart und ihr Herzblut war noch frisch.
Und sie sprach: „vor einem Jahr war es noch, daß du
nicht so einsam warst wie heute. Die Räume, vor deren Stille
dir nun graut, waren von Kinderlachen erfüllt und von der
holden Gegenwart einer lieben Frau. Du aber warst nicht nur
der gefeierte Sänger, der du heute bist, du warst auch ein
geliebter Gatte, vergötterter Vater. Christabend war es wie
heute und deine Frau hätte den Baum geschmückt und dein
Rind hatte vor der Türe gesessen mit gläubigen Blauaugen
und mit dem fächeln der Erwartung. Und beide, deine Frau
und dpin Töchterchen, hatten sich sehr auf den abend gefreut,
an dem du ihnen allein gehören solltest, nicht den fremden
Menschen im Theater wie immer sonst. „Vater wird sich freuet} !"
hatte dein Tochterchen gerufen, „denn Flnnp hat eine Ueber-
rafchung für Vater !" wie hübsch sie war in ihrem weihen
Kleidchen mit den goldenen Locken und dem frohen fachen.
Und die junge Mutter hatte gelächelt, so voll Innigkeit. —
Du hättest sie beide in die Firme nehmen sollen und ihnen die
Freude des Weihnachtsabends, die Freude deiner Gegenwart
gönnen. Du aber bist nicht bei ihnen geblieben, hast Kur; er¬
klärt, schon gebunden ;u sein und bist zu einer Gesellschaft
von Künstlern und Musikern gegangen, fjaft deine Frau und
dein Kind allein gelassen an dem Flbend, auf den sie sich so
sehr gefreut. Fils du dann am Morgen nach Hause kamst,
lag Flnny in heftigem Fieber. Sie hatte sich erkältet, als sie
auf den Gang gelaufen war, zu sehen, ob ihr lieber Vater
denn noch immer nicht käme. Fils dann das Kind starb, zog
deine Frau von dir fort zu ihren Eltern und leitete die
Scheidungsklage ein. Darum bist du heute so allein, denn es
hält dich bei keiner Unterhaltung, denn du kannst dich nicht
ablenken."
kalt und hart sprach die Erinnerung und sie nahm rest¬
los Besitz von der Gegenwart.
klnny hatte den Vater noch überraschen wollen — er
aber war achtlos von dem Kinde gegangen, das dann seinet¬
wegen gestorben war.
Und darum war es nun so still, so einsam in den Kostbaren
Räumen, darum erhellten sich Keine Christbaumketzen, erklang
Keine süße Kinderstimme in ihrem Schweigen. Aber jäh ward
dies von der Türglocke zerrissen, deren Ton ihn auffahren lieh,
wer mochte das fein? Der Briefträger wohl — oder eine Ver¬
ehrerin seiner Kunst? Fiber er hatte dem Diener den Fluftrag
gegeben, niemand einzulassen. Er wollte allein sein, das heißt,
er wollte nicht auch noch einen anderen Menschen in der
Rähe wissen. Dennoch öffnete sich die Tür, aber dieses leichte
hinunterdrücken der Schnalle, diesen fast unhörbaren Schritt
Kannte er gut genug.