5./9. Nummer
Zeitschrift für das österr. Blindenwesen.
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erst im Mannesalter mit seinem Opus. 1 in die Oeffentlichkeit
trat, er entfaltete in seinen letzten zehn Lebensjahren eine
kompositorische Tätigkeit, die an das Unbegreifliche grenzt.
Vom Kinderlied bis zum großen Chorwerk mit Orchesterbeglei
tung hat er Herrliches und Originelles geschaffen. Dabei war er
der schrankenlosen Extase stets abhold: „Lyrische Wallungen
hat ein jeder; der Künstler aber muß beweisen, daß er auch
ein Könner Ts't.“ Und er war ein Könner! In der Beherrschung
des Kontrapunktes und der musikalischen Formen “findet man
nicht viele seinesgleichen.
Er wollte aber durchaus kein einseitiger Musiker sein; es
trieb ihn nach vielseitiger Geistesbildung. Sinn für jede große
Erscheinung in der Weltliteratur, Begabung für fremde Spra
chen, lebhaftes Interesse an allen Forschungen in der Natur
wissenschaft machten seine Oriehtiertheit auf allen Gebieten
zu einer geradezu universellen.
Es erübrigt sich fast, nach dem bisher Gesagten, noch von
dem dritten Pfeiler seines Wesens, von seinem Fleiß, zu spre
chen. Aber es soll hier doch auf die Gründlichkeit seiner Art
zu arbeiten, hingewiesen werden. Er wollte sich nie bloß auf
sein treffliches Gedächtnis verlassen. Schon in seiner Studien
zeit machte er sich von allem Gehörten und Erlernten Notizen
und erfand sich, da damals noch keine Notenschrift für Blinde
bestand, eine eigene, die er zum Darstellen wertvoller musi
kalischer Einfälle gebrauchte. Später mit der Punktschrift ver
traut, verschaffte er sich eine für die Verhältnisse eines Pri-
vatbestizes außerodentlich umfangreiche Bibliothek, die ihm
seinen fanatischen Hang zur Gründlichkeit befriedigen ließ, in
dem er immer wieder die meist handschriftlichen Kopien seines
übergroßen Repertoirs nachlesen konnte. Seine Kompositionen ar
beitete er stets erst im Geiste fast vollständig .aus und brachte
sie dann in Punktschrift 'zu Papier, hernach erst diktierte er
sie seinem freundlichen Helfer in die Feder. Bis. nach Mitter
nacht saß er täglich an seinem Schreibtische.
Der Drang nach Vollkommenheit war die treibende Macht
seines Wesens, fern von dem leisesten Schein einer Eitelkeit,
wollte er nie nur als „blinder“ Künstler gewertet sein, sondern
forderte von sich und von jedem Wirkenden, daß seine Lei
stungen nicht bloß einen relativen Erfolg, sondern einen ab
soluten Wert haben sollten. Darum verstand er, der sonst milde
und gütig Nachsichtsvolle, sich in künstlerischen Angelegen
heiten auch nicht zur kleinsten Konzession. Gediegenheit, auf
welchem Gebiete immer, fand seinen freudigen Beifall, mochte
es sich dabei um geistige oder manuelle Arbeit handeln. Er
schätzte sie hoch ein.
Er war seinen Schülern ein gütiger Freund, und stets gerne
bereit, nicht bloß ihnen, sondern jedem Rat- und Hilfebedürftigen
mit allem, was er besaß und wußte 1 , beizustehen. Was er durch
sein Beispiel und seine Persönlichkeit für seine blinden Schick
salsgenossen bedeutet, ist schon anläßlich seines BO. Geburls-