Volltext: Der Spaßvogel 1929 (1929)

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muß die Ansprache frei vorgetragen wer— 
den. Sie darf sogar den Eindruch einer 
Improvisation hervorrufen. Auf jeden Fall 
werden Sie für Ihre Leistung von uns 
gut honoriert werden. Die Bezahlung er— 
folgt morgen. 
Benedikt Strudelwalker bringt für die 
neue, ungewohnte Aufgabe Eifer und Be— 
geisterung mit. Die Trauergemeinde, die 
er am nöächsten 
Vormittag im 
Friedhof versam— 
melt findet, ist nicht 
groß, setzt sich gber 
offenbar aus Mit— 
gliedern der besten 
Gesellschaftsklas— 
sen zusammen. 
Würdevolle, alte 
Herren, die ein Le— 
ben der Arbeit und 
des Erfolges hinter 
sich haben, elegant 
gekleidete junge 
Männer, die noch 
nicht auf den 
Wunsch, sich Schät— 
ze und Reichtümer 
zu sammeln, verzich— 
tet haben. 
Genau um elf 
Uhr empfängt Be— 
nedikt »nseinem 
monokelgezierten 
Auftraggeber, das 
in einem Briefum— 
chlag eingeschlossene 
Honorar, schiebt 
das Papier schnell 
in die Tasche und 
beginnt die von 
Schmerz und Er— 
griffenheit durchzit— 
terten Worte: 
„Hochansehnliche 
Trauergemeinde! 
In einer schicksalsschweren Stunde ha— 
ben wir uns versammelt, um Abschied von 
einem unserer Besten zu nehmen. Was 
Alois für uns alle gewesen ist, das braucht 
in diesem Augenblicke nicht erzählt zu wer— 
den. Was Alois für die Gesellschaft, für 
die Oeffentlichkeit, die Menschheit bedeutet 
hat, das steht, in den Blättern der Zeit— 
geschichte verzeichnet. Ein Mann, der nim— 
mermüde Erfindungsgabe mit Tatkraft und 
Ausdauer verband, ein Mann, der sich 
auch durch Fehlschläge nicht von seinem 
Ziel abbringen ließ, ein Mann, der den 
Kampf liebte, den Kampf, suchte, in dem 
Kampf untergegangen ist! Man sage nicht, 
daß es die Sucht nach Geld war, die un— 
seren verewigten, Freund und Bruder in 
eine Laufbahn hineingedrängt hat! Nein, 
es war die angeborene Begabung, Liebe, 
Begeisterung, die ihn in seinen Beruf hin— 
eingeführt und es 
hm ermöglicht hat, 
n seinem Wirken 
eine seltene Mei— 
sterschaft zu errei— 
chen. Alois, wir 
alle, die wir uns 
heute zum letzten 
Abschied versam— 
melt haben, wissen, 
was wir an dir 
verloren haben: ei— 
nen Freund, der 
mit seinen Gefähr— 
ten alles geteilt 
hat, einen Genos— 
sen, der uns bei der 
Arbeit vorangegan— 
gen ist, einen Men— 
schen, der viel ver— 
folgt, aber auch 
viel gesucht wurde. 
Alois, dein Name, 
dein Wirken wird 
in unserem Kreise 
niemals vergessen 
werden! Alois, 
fahre wohl!“ 
Als Strudelwal—⸗ 
ker mit diesen Wor— 
ten seinen Nachruf 
schließt, merkt er, 
daß ihm aus den 
Gesichtsmienen sei— 
ner Zuhörer Zu— 
stimmung, Anerken— 
nung, Beifall ent— 
„Hochansehnliche Trauergemeinde! ...“ 
gegenstrahlen. 
Der monokeltragende Besteller der 
Grabrede hat zwar bereits die Trauerge— 
meinde verlassen, offenbar hat ihn die 
Rührung überwältigt und er mußte sich 
borzeitig aus der Schar seiner Freunde 
zurückziehen. 
Als Benedikt durch das Friedhofs— 
tor das Freie erreicht hat, greift er in 
die Rocktasche und zieht den Brief mit 
dem Honorar hervor. Es ist ein gewich—
	        
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