Volltext: Der Naturarzt 1900 (1900)

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Patientin nach ihrer Meinung recht wohl fühlte. Mir wollte die Patieutin 
aber nicht aus dem Kopfe gehen. Ich konnte mich nicht mitdem Gedanken 
vertraut machen, dass sio wirklich ganz gesund sei. Ihr Aussehen, ihr Be— 
nehmen stimmte nicht mit ihrer Angabe über ihr vorzügliches Wohlbéfinden 
uberein. Teh vermutete, dass irgend ein schweres Leiden im Anzuge sei; 
dase sie noch Blut verlieren konnte, daran dachte ich zunächst gar nicht, 
denn sie hatte mir ja versichert, dass es nicht der Fall sei. Die Gedanken 
verfolgten mich Tagß und Nacht und so ging ieh denn schliesslich eines 
Tages wieder hin. — Es konnte sich in diesem Falle nur um vier ver-— 
schiedene Rrankheitszustände handeln, um beginnende Schwindsucht, Nieren- 
oöntzundung, um eine Bluterkrankung oder um eine seit der Geburt doch 
noch Pestehende Blutang. Da die eingehende Untersuchung. die ersten 
drei Rrankheitszustände vusschloss, so sagte ich der Patientin auf den Kopt 
zu, dass sie doch noch Blut verlieren müsse. Jetet, gab sie denn endlich zu, 
dass sie seit der Geburt, d. h. Schon drei Wochen lang, sehr stark „unwohl“ 
gewesen sei. — Bis ahin hatte sis mir gegenüber das Bestehen einer der- 
artigen Blutung stets bbgeleugnet und ich hatto keinen Grund, au der 
Glaubpwuürdigkent der Aussagen der mir seit langem bekaunten Patientin zu 
zweifeln. Sie war seit der Soit, wo ich sie zuletzt gesehen hatte, sehr her- 
untergéekommen,. Naturlich musste jotzt die Gebärmuttoer ausgeräumt werden, 
die mit einer Unmasse fest geronnener Blutklumpen angefüllt war. — LTinige 
Tage spater stellto sich dann noch ein fieberhafter Krankheitszustand ein, 
der abeèr noch gluüeklich überwunden wurde. Aber es werden infolge des 
dreiwöôchentlichen Blutverlustes noch vielo Monate vergehen bis die Kranke 
ihren alten Gesundheitszustand, ihre vordem unermũudlicho Sohaffensfreudigkeit 
wiedererlangt haben wird. 
Dieser Krankheitsfall ist in mehrfacher Beziehung interessant! 
.. MWarum sagt die Kranke dem behandelnden Arzte direkt dio Unwahbr- 
it Es ist dioôs ·die traurige Folge éines alten Aberglaubens, dass man 
icht s0 leieht wieder in andere Umsfande käme, wenn die Blutung nach 
der Geburt recht lange dauro. Damm haält man auch eine solche Blutung 
für gut — uns Aerzte hält man ja in solchen Angelegenheiten für entsetzlich 
dumm! — man freut sich sogar, dass, nun mit eéinem Male all das alte 
schlechte Blut wegginge. 
Diesen, alten unklugen Ansichten gegenüber kann man es als Arzt 
nicht häufig und scharf genug betonen, dass mit Beendigung einer Geburt 
auch jede Blutung aus den Geschlechtstheilen, unbedingt aufzuhören hat. 
Diese Blutungen Sind auf einen krankhaften Zustand in den Geschlechts- 
teilen, zumeist aber auf eine Erschlaffung der. Gebarmutteér oder zurũuck- 
gebliebene Nachgeburtsreste zurückzuführen. Pine solche Blutung ist also 
bei Leibe nichts Normales, Gesundes oder gar Wunschènswertes. — Es 
ist für den wissenden Arzt ein leiehtes, umgehend hier Abhulfe zu schaffen. 
Wer trotz vorstehender Ausginandersetzungen auf seinem aberglaubischen 
Kopf besteht — mag er sonst noch so niedlich sein — muss die Dureh- 
setzung seines Willens mit unfehlbarer Sicherheit, mit éinoem langeren 
RKrankenlager oder mit einem schweren Verluste an Gesundheit auf Monate 
hinaus bezahlen. I I 
Auch in vorliegendem als Beispiel kKurz angeführten Krankheitsfallo 
hätte dio Möchnerin sich ihr ganzes Rrankenlager sparen könnènm, wenn sie 
dinmal die ürztlichen Vérordnungen genau befolgt hatte und zweitens dem 
Arzto gegenüber Offenheit und Wabrheit hätto walten lassen. LEin ge- 
wisseonhafter Arzt hat nur das Beste seiner Patienten im Auge und trifft 
keine Verordnung, die dem gesundheitlichen Interesse seiner sich ibhm an- 
vertrauenden Patienten entgegen laufen könnte. 
Ieh habe diesen Krankheitsfallin Anbetracht seiner Wichtigkeit / etwas 
ausführlicher besprochen. Mögen recht viele Leserinnen in ihrem Intoresse 
die richtige Nutranwendung aus démselben ziehen. 
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