Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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Gegen solche Verirrungen haben wir uns mit aller Energie zu wenden, 
im Namen unserer Mitmenschen, im Namen unseres deutschen Volkes, dessen 
Wohlergehen das höchste, edelste und schönste Ziel bei allen Bestrebungen 
der Naturheilkunde ist. 
Hier vermag der Bund der Vereine für Naturheilkunde im planmässigen 
Zusammengehen mit anderen Korporationen gleicher Tendenz Grosses zu 
leisten. 
Ueber Heilkräuter. 
Philo vom Walde. 
I. 
Da kommen sie und sagen: „Wozu hätte denn dann der liebe Gott 
die vielen Kräuter wachsen lassen?“ Ja, liebe Leute, wer das wüsste! 
Die Teleologie (Zweckmässigkeitslehre) ist heutzutage das schwankendste 
System, das es giebt. Ob Kant recht hat, wenn er behauptet: „Die Zweck 
mässigkeit ist erst vom reflektierenden Verstände in die Welt gebracht, der 
demnach ein Wunder anstaunt, . das er selbst geschahen hat“ — will ich 
hier nicht entscheiden; bestimmt aber ist dies, dass die Dinge von Anbeginn 
nicht den Sinn und Zweck gehabt haben können, den ihnen die verschiednen 
Völker zu verschiednen Zeiten untergelegt haben. Um bei der Heilkunde 
zu bleiben: Als man früher mit Mauerrasseln, gedörrten Fröschen und andern 
Lebewesen kurierte, haben naive Gemüter vielleicht auch geglaubt: der 
Herrgott habe diese Tierchen der leidenden Menschheit zu Liebe geschaffen. 
Heute denken »wir anders darüber. Heute denkt wieder jeder Spiritus 
fabrikant: die Kartoffeln seien zur Schnapsbereitung, und die Tabakpflanze 
sei zur Belästigung aller Nichtraucher erschaffen worden. Warum sollten da 
nicht manche auch auf den Gedanken kommen: die Kräutlein seien zum 
Kurieren da? Ob das aber stimmt? Ignoramus, Ignorabimus (wir wissens 
nicht und werdens nie wissen)! 
Man soll nicht auf Autoritäten schwören. Mitunter darf man doch 
aber einem fünfsinnigen Manne eher etwas glauben, als einem Dummkopf 
und Trottel. Ludwig Büchner ist sonst nicht mein Fall, denn er hat uns 
Naturheilbrüder oft genug angegriffen; aber was er zu diesem Punkte in 
„Kraft und Stoff“ schreibt, das klingt vernünftig. Er sagt: „Heilmittel in 
dem Sinne aber, dass sie bestimmte Krankheiten mit Sicherheit und ryiter 
allen Umständen vertreiben und so als für diese Krankheiten zum voraus 
bestimmt angesehen werden könnten, giebt es gar nicht. Alle vernünftigen 
Aerzte leugnen heute die Existenz sogenannte? spezifischer Mittel in 
dem angeführten Sinne und bekennen sich zu der Ansicht, dass die Wirkung 
der Arzneien nicht auf einer spezifischen Neutralisation der Krankheiten be 
ruhe, sondern in ganz andern, meist zufälligen oder doch durch einen weit 
läufigen Causalnexus (Ursachzusammenhang) verbundenen Umständen ihre 
Erklärung finde. Daher muss auch die Ansicht verlassen werden, als habe 
die Natur gegen gewisse Krankheiten gewisse Kräuter wachsen lassen; eine 
Ansicht, die dem Schöpfer eine bare Lächerlichkeit imputiert, indem sie es 
für möglich hält, dass dieser ein Uebel zugleich mit seinem Gegenübel ge 
schaffen, anstatt die Erschaffung beider zu unterlassen.“ 
Bei den Mittelgläubigen sind die Gründe wohlfeil wie Brombeeren. 
Der Grossvater und die Grossmutter haben ihnen schon immer erzählt, dass 
die Tiere instinktiv gewisse Kräuter aufsuchten — also müsse es Heilkräuter 
geben. Das nennt man Logik! Nun, meine Mutter, die eine richtige 
Grimmsche Märchenfrau von Niederzwehren war, hat mir sogar oft erzählt, 
dass der Hirsch ein Kräutlein gegen den Tod kennte und daher nie stürbe. 
Als Kind habe ich das natürlich geglaubt, zumal es die Mutter erzählte. 
Viele Menschen bleiben in allem Kinder, und wenn sie auch hundert Jahre 
alt werden. Wer hat je ein Tier Heilkräuter gemessen sehen zum Zwecke 
einer Kur? Es ist das dieselbe Geschichte wie mit dem Gespensterglauben.
	        
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