Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

Als ich eines Tages den Saal wieder einmal bestellte, wurde | 
mir der Bescheid, dass er von jetzt ab für Vorträge aus dem Gebiete 
der Gesundheitspflege nur noch „Autoritäten“ überlassen werde. Wir 
mussten nun in die Kneipen ziehen und uns Säle mieten — in Berlin 
eine. kostspielige Sache. Wenn man aber angenommen hatte, unsre 
Bewegung sei nun tot gemacht, so zeigte sich das als Irrtum. 
Gerade in der Reichshauptstadt ist sie seitdem mächtig gewachsen^ 
Genau wie uns erging es dem verstorbenen Sanitätsrat Niemeyer. 
Auch er galt den Sachverständigen des Magistrats für keine „Autorität“ 
auf dem Gebiete 'Ser Gesundheitspflege. 
Ich nahm an, die städtische Sanitätskommission, der wir unsre 
Ausweisung offenbar zu verdanken hatten, sei mit einigen der zahl 
reichen Autoritäten Berlins in Verbindung getreten, um dem Volke 
Ersatz für die Belehrungen zu schaffen, die ihnen „Kurpfuscher“ oder 
Aerzte vom Schlage der Niemeyer bis jetzt geboten hatten. Denn 
dass man das Volk, und nur das Volk traf, lag doch auf der Hand. 
14 Jahre sind seitdem ins Land gegangen, und noch ist keine der 
„Autoritäten“ zu dem Volke, das nach Aufklärung in Dingen, die 
seine Gesundheit angehen, hungert und dürstet, herabgestiegen. 
Wozu diese Erinnerungen? 
Berliner Blätter bringen folgende Notiz: 
„Die Centralkommission der Krankenkassen Berlins wird noch in 
diesem Winter eine Reihe populär - medizinis eher Vortragsabende 
veranstalten, für die sich hundert Berliner Aerzte als Redner zur Verfügung 
gestellt haben. Die Vorträge werden öffentlich und unentgeltlich stattfinden 
und sich auf alle Gebiete allgemeiner Medizin und Hygiene erstrecken. Ein 
Hauptzweck der Einrichtung soll die Bekämpfung der Kurpfuscherei sein, 
die gerade in den Versammlungen der Krankenkassenmkglieder in Berlin 
seit Jahren üppig wuchert. Die Vorträge sollen zumeist am Sonntag- 
Nachmittag vor einem grossen Publikum aus Arbeitern und Arbeiterinnen 
stattfinden.“ 
Also endlich haben sich „Autoritäten“ gefunden — gleich hundert 
auf einmal. Nur einige bescheidene Fragen seien gestattet! Warum 
mag wohl die „Kurpfuscherei“ in den Versammlungen der Kranken 
kassenmitglieder seit Jahren „üppig wuchern?“ Sollten unsere 
Arbeiterinnen und Arbeiter des Vergnügens halber lieber zu „Kur 
pfuschern“ als zu den „natürlichen Autoritäten“ gehen? Oder sollten 
sie gefunden haben, dass sie bei dem „Pfuscher“ nicht selten besser 
aufgehoben sind als bei der „Autorität“ ? Und wo waren denn die 
„natürlichen“ Autoritäten auf dem Gebiete der Gesundheitspflege 
bisher? Warum überliessen sie die Belehrung des Volks fast allein 
den „Kurpfuschern“ ? Sollten sie eingesehen haben, dass die Natur 
heilbewegung vom Schimpfen doch nicht stirbt, dass die Heilkunde 
selbst sich wandeln muss? Das wäre ja ein höchst erfreulicher 
Fortschritt, und wir wünschen der Berliner Centralkommission der 
Krankenkassen von Herzen Glück zu ihrem Vorgehen. Unsere Bewegung 
kann nur Vorteil davon haben. Wer erst denken lernt in gesund 
heitlichen Fragen, kommt ganz von selbst in unser Lager. Unsre Saat ist 
längst aufgegangen. Die Herren Vortragenden werden wenig blind 
gläubige Hörer mehr finden, sondern vielfach kritischem Sinne begegnen. 
Für uns Anhänger der Naturheilbewegung aber heisst es: 
Weiter säen! Weiter auf klären! Weiter kämpfen! Aber nicht nach 
der Weise des österreichischen Landsturms, sondern 
frisch vorwärts!
	        
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