Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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schwindet. Gebrauchen wir unsere Muskeln nicht, so w r erden dieselben 
atrophieren. Würden wir uns beständig im Dunkeln auf halten, so würde unser 
Sehnerv schwinden, und wir würden erblinden. Wäre es möglich, dass nie ein 
Geräusch an unser Ohr gelangen könnte, so würde unser Gehörsorgan ver 
kümmern, und wir würden taub. 
In gleicher Weise verhält 83 sich mit jedem Körperteil auch mit unserer 
Haut. Bei Menschen, die sich namentlich durch ihre Kleidung gegen Kälte 
einflüsse schützen w r ollen, bekommen die Hautgefässe nie Gelegenheit, ihre Be 
stimmung auszuführen, und tritt dann einmal eine Abkühlung der Haut ein, 
so lassen uns dieselben im Stiche und die Folge ist eine Erkältung. 
Leute mit solch einer mangelhaften Thätigkeit der Hautgefässe nennt 
man verweichlicht. Verweichlichte Menschen sind namentlich zu Erkrankungen 
der Atmungsorgane, zu Katarrhen, Lungenentzündung u. s. w. und zu Bkeu- 
matismus geneigt. Aber auch viele andere krankhafte Zustände, wie Hämor 
rhoiden, Verstopfung, Anschoppung der Leber u. s. w. können, wie vorhin 
erw r ähnt, in einer verweichlichten Haut und einer daraus entstehenden un 
gleichen Blutverteilung ihren Grund haben. 
Wenn wir nun jemand abhärten, d. h. gegen Kälteeinflüsse gefeit machen 
wollen, so brauchen wir nur die Hautgefässe in ihrer Thätigkeit zu üben. 
Abhärtung ist eine Dressur der Blutgefässe der Haut. Wir setzen letztere 
einem kurzen Kältereize, wozu wir das Wasser und‘die Luft benutzen, aus 
und steigern diese Keize je nach der bereits erreichten Leistungsfähigkeit der 
Blutgefässe zu immer stärkeren. Beginnen müssen wir mit ganz schwachen 
Beizen, d. h. mit mässig kühlem Wasser und dürfen nur allmählich, je nach 
der Eigentümlichkeit der betreffenden Menschen, fortschreiten. Wenn wir die 
Muskeln stärken wollen, so turnen wir auch anfangs mit leichten Gewicht 
stücken und nehmen erst allmählich immer schwerere. 
Wenn eine Abhärtungskur vorsichtig geleitet wird, so können wir den 
verweichlichten Menschen bald dahin bringen, dass er sich mit Lust den 
kältesten Wasseranwendungen aussetzt, die dann nicht nur auf seine Haut, 
sondern auf jedes Organ seines Körpers den wmhlthätigsten Einfluss ausüben. 
Nur darf man, wie gesagt, nicht zu schroff vorgehen, sondern die Anwendungen 
nur ganz allmählich forcieren. 
Welch gewaltigen Einfluss derartige Abhärtungskuren namentlich auf 
Leute haben, die zu Erkältungen neigen und an Katarrhen und Bheumatismus 
leiden, ist leicht verständlich, wenn man die Bedeutung des Hautorgans 
versteht. 
Als Abhärtungsmittel kann man fast alle Wasseranw r endungen verwerten: 
Abwaschungen, Lakenbäder, Halbbäder, Kneippsche Güsse, Douclien u. s. w. 
Ausserdem leisten uns systematisch angewandte Luftbäder grosse Dienste, 
ebenso die Massage und Heilgymnastik. 
Auch die Kleidung ist zu berücksichtigen. Wir kleiden unsern Ober 
körper, der ja die reichste Blutversorgung hat, verhältnismässig zu warm, 
während die Beine zu stiefmütterlich bedacht werden. 
Durch eine geeignete Abhärtung können wir die Haut des ganzen Körpers 
in die Verfassung bringen, in der sich die Gesichtshaut befindet, die ja bei 
den meisten Menschen durch beständige Berührung mit der Luft und fleissigem 
Gebrauch des kälten Wassers abgehärtet ist. Es giebt wilde Völkerschaften, 
deren Gesamthaut so abgehärtet ist, dass sie selbst im Schnee zu schlafen ver 
mögen, ohne sich eine Erkältung zuzuziehen. Als ein Beisender solch einen 
Naturburschen einmal fragte, wie das möglich sei, erhielt er die einfache, aber 
bezeichnende Antwort: All face (alles Gesicht).
	        
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