Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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Durch genaues Individualisieren ist man stets in der Lage zu nützen, also 
zu heilen, ohne der Gefahr ausgesetzt zu sein, durch unpassende Heilfaktoren 
die Zeit zu vergeuden oder gar zu schaden, wie es in der Schulmedizin an 
der Tagesordnung ist. Ernst Thiem-Bromberg. 
Der Veitstanz. 
Von Dr. Carl Strueh, Chicago. 
Die charakteristischen Erscheinungen des Veitstanzes bestehen in hoch 
gradiger Muskelunruhe und unzusammenhängenden Bewegungen. Die Engländer 
und Franzosen haben dieser ungeordneten Bewegungen wegen der Krankheit 
einen sehr zutreffenden Kamen gegeben; sie nennen sie Insanity of museles, 
resp. Folie musculaire. Die Krankheit finden wir meistens unter Kindern 
zwischen dem 6. und 7. Lebensjahre und, allerdings seltener, zwischen dem 
11. und 15. Jahre. Es kommt der Veitstanz zwar auch unter Greisen als 
besondere Form vor, aber das sind seltene Fälle. 
Gewöhnlich ist die Krankheit erblich, d. h. es bestehen in der Familie 
Nervenerkrankungen irgend welcher Art, wie Hysterie, Epilepsie, Geistes 
krankheiten, Neuralgien u.s.w. Auch bei Kindern, die geistig überanstrengt 
worden, finden wir das Leiden sehr häufig. In zahlreichen Fällen ist eine 
plötzliche seelische Erregung, ein Schreck, eine plötzliche freudige Ueber- 
raschung u. dergl., die Ursache. Auch infolge einer Verletzung, namentlich 
durch einen Fall oder Schlag auf den Kopf, kann der Veitstanz auftreten. 
Zuweilen wird dieser eigenartige Krampfzustand hervorgerufen durch 
anderweitige körperliche Störungen, beispielsweise durch Eingeweidewürmer, 
durch Zahnen, durch Schwangerschaft, Herzkrankheiten u. s. w. Auch giebt 
es Fälle, in denen sich die Krankheit entwickelt, wenn das betreffende Kind 
ein anderes an Veitstanz erkranktes nachzuahmen versucht. Zuweilen schliesst 
sich das Leiden an fieberhafte Erkrankungen an; so finden wir dasselbe 
beispielsweise mitunter nach einer Diphtherie, einem Typhus u. s. w. Im 
allgemeinen erkranken ungefähr zweimal so viel Mädchen wie Knaben. 
Die Krankheit tritt zuweilen ganz plötzlich auf, sehr häufig z. B. in 
folge eines plötzlichen Schreckes. In anderen Fällen geht dem Ausbruche der 
Krankheit ein Zeitraum voraus, in dem das Kind auffallend reizbar und 
empfindlich ist. 
Das Krankheitsbild des Veitstanzes ist wohl einem jeden bekannt und 
braucht nicht ausführlicher beschrieben zu werden. Das Kind ist beständig in 
Bewegung, kann nicht ruhig sitzen und bewegt unbewusst fortwährend Arme 
und Beine und ebenso den Kopf. Die Gesichtsmuskeln sind ebenfalls in 
Bewegung, sodass das Kind die grässlichsten Grimassen schneidet, ohne dass 
es imstande wäre, diese unwillkürlichen Bewegungen zu unterdrücken. Diese 
sind mitunter so heftig, dass das Kind von denselben zu Boden geworfen 
wird. In derartigen Fällen kann es nötig werden, das Kind zeitweise fest 
zubinden, um es vor etwaigen Verletzungen zu schützen. 
Auch die Sprache, die Atmung und selbst das Schlucken können bei 
einem am Veitstanz leidenden Kinde gestört sein. Es giebt Fälle, in denen 
nur die Muskeln der einen Körperseite oder auch nur eines Armes 
oder Beines von den Veitstanzbewegungen ergriffen sind. Solche Fälle sind 
aber nicht so häufig wie diejenigen, in denen sämtliche Körpermuskeln be 
teiligt sind. 
Kinder, welche mit dem Veitstanz behaftet sind, zeichnen sich häufig 
durch ein läppisches Benehmen aus, ja in einzelnen Fällen sind sie geradezu 
blödsinnig. 
Die Dauer der Krankheit beträgt im Durchschnitt 4—12 Wochen. Zu 
weilen tritt eine Besserung ein, nachdem das Kind eine akute fieberhafte 
Krankheit, z. B. die Masern, das Scharlachfieber u. dergl., durchgemacht hat, 
häufig bleibt diese Besserung aber auch aus.
	        
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