Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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<deren Brust es mit Leib und Seele erstarkte.“ (P. Niemeyer.) Leider wird 
es fürs erste immer noch Kinder geben, denen die Mutterbrust versagt 
bleibt. Für diese bedauernswerten Geschöpfe müssen wir uns nach einem 
Ersatz umsehen. Bedauernswert sind diese Kinder, weil das beste künstliche 
Nährmittel nie und nimmer die Muttermilch ersetzen kann. 
Der beste Ersatz für die Muttermilch ist ohne Zweifel die Milch einer 
gesunden Amme. Doch abgesehen von den moralischen Bedenken, die mit 
Recht hiergegen geltend gemacht werden, verbietet sich die Wahl dieses 
Ersatzmittels für die meisten Eltern vom pekuniären Standpunkte aus. Es 
ist deshalb notwendig, dass wir dem Kinde eine Milchmutter unter den 
Säugetieren suchen. Folgende Tabelle zeigt die prozentuale Zusammen 
setzung der Nährstoffe der Frauenmilch und der Kuhmilch nach Dr. Lah- 
Wasser. Eiweiss. Fett. Zucker. Nährsalze. 
Frauenmilch 87,02 2*36 8,94 6,23 0,45 
Kuhmilch 88,42 3,41 3,65 4,81 0,71 
Vergleichen wir beide Milchartefr in Bezug auf die Zusammensetzung 
ihrer Nährstoffe, so finden wir, dass die Kuhmilch im Vergleich zur Frauen 
milch einen bedeutenden Ueberschuss an Eiweiss und Nährsalzen aufweist. 
Der Fettgehalt beider Milcharten ist ziemlich gleich; dagegen mangelt es der 
Kuhmilch an Zucker. 
Um der Bedeutung dieser Verschiedenheit in der Zusammensetzung 
der Frauen- und Kuhmilch zu verstehen, müssen wir uns kurz mit der 
Aufgabe der verschiedenen Nährstoffe beschäftigen. Man unterscheidet zwei 
Gruppen von Nährstoffen: plastische oder organbildende und respiratorische 
oder wärmebildende. Erstere haben die Aufgabe, den Körper aufzubauen; 
zu ihnen zählen das Eiweiss zum Aufbau der Weichteile, Muskeln etc. 
und die Nährsalze zum Aufbau des Knochengerüstes. Die respiratorischen 
Nährstoffe entwickeln Wärme, Elektrizität, mit einem Worte Spannkräfte im 
Körper. Sie sind es, die den Körper heizen und das Lebensgetriebe unter 
halten. Die wichtigsten Nährstoffe dieser Gruppe sind Stärkemehl, Zucker 
und Fett. 
Nachdem wir so die Aufgabe der Nährstoffe kennen gelernt haben, 
sehen wir schon klarer. Wir können jetzt kurz sagen: Die Kuhmilch weist 
gegenüber der Muttermilch einen bedeutenden Ueberschuss an plastischen 
Nährstoffen auf, während es ihr an respiratorischen Nährstoffen mangelt. 
Der Grund für den reichen Gehalt der Kuhmilch an Eiweiss und Nähr 
salzen wird uns klar, wenn wir bedenken, dass das Kalb seinen Körper in 
einem Jahre zum Rinde auf baut, während das Wachstum des Kindes etwa 
zwanzig Jahre dauert. Das ist der Grund, warum das Verhältnis der 
plastischen zu den respiratorischen Nährstoffen in der Kuhmilch 1 : 2 ist, 
während das betr. Verhältnis bei der Frauenmilch 1 : 5 beträgt. Dabei ist 
noch zu bemerken, dass Lahmann einen verhältnismässig hohen Eiweiss- 
. gehalt annimmt; andere Forscher haben 1 : 10, ja 1 : 15 gefunden. Der Ei 
weissgehalt der Frauenmilch schwankt, je nachdem die Frau eiweissreiche 
oder eiweissarme Kost geniesst. 
Nach diesen Darlegungen ist die Frage „Sollen wir die Kuhmilch un 
verdünnt geben oder nicht?“ leicht zu beantworten. Da das Nährgemenge 
beider Milcharten so verschieden ist, so müssen wir unbedingt eine Ver- 
. änderung mit ihr vornehmen. Wird der Zweck, die Kuhmilch zu einem 
passenden Kindernährmittel zu machen, durch die einfache Zugabe von 
Wasser erreicht? Nein, der Wassergehalt beider Milcharten ist ja gleich; 
durch die Zugabe von Wasser wird das Verhältnis der Nährstoffe absolut 
nicht geändert, vielmehr wird die Milch verwässert und das Kind mangel 
haft ernährt. Wir müssen das natürliche Verhältnis herzustellen suchen, 
dadurch, dass wir respiratorische Nährstoffe hinzufügen, Das geschieht viel 
fach durch die Zugabe von Haferschleim, Mondamin etc. Das hat jedoch 
seine Bedenken; denn die Verdauung jeder Art von Stärkemehl geschieht
	        
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