Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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meinen Richtungen nicht aus. Was steht entgegen, um vorläufig nur hierauf 
kurz hinzuweisen, die Heilanstalten der Naturheilvereine, die Speisehäuser 
und Obstbausiedlungen der Vegetarier, die Tierschutzasyle, die Trinker 
heilstätten, ferner Erziehungsanstalten, Einrichtungen für Geselligkeit und 
Bildung u. s. w. in einen solchen wirtschaftlichen Zusammenhang zu bringen, 
dass sie sich, ohne ihre Selbständigkeit irgendwie zu stören, gegenseitig 
unterstützen und fördern! Neben der Einseitigkeit der eigenen Person gilt 
es auch die Vereinseinseitigkeit, überhaupt jedes Sektentum zu überwinden 
und in der einheitlichen Natur dem einheitlichen Naturzwecke höchster 
Lebensfülle des Leibes und des Geistes in Einheit und Gemeinsamkeit, wenn 
auch auf verschiedensten Wegen, nachzustreben. 
Hoch liegt das ideale Ziel; die Bemühungen zu ihm können daher 
auch nicht gering sein. Wollen wir dem heute so unendlich fernen Ideal 
näher kommen, werden wir ganz andere Anstrengungen zu machen haben 
als bisher, da ja bisher so wenig erreicht wurde. 
Da muss nun zunächst mit Nachdruck auf die Unzulänglichkeit blosser 
Wohlthätigkeitsbestrebungen hingewiesen werden. Ohne Nebenabsichten 
wirkende W o h 11 h ä t i g k e i t ist eine der edelsten menschlichen Hand 
lungen, deren insbesondere ein echter Freund der Natur sich befieissigen 
wird. Auch werden Wohlthaten selbst bei einer besseren sozialen Ordnung 
niemals entbehrlich sein zur Linderung besonderen persönlichen Un 
gemachs Solches besondere Leid kann eine allgemeine Ordnung niemals 
völlig ausschliessen. Die Wohlthätigkeit ist ihrer feinen Natur nach aber 
ganz ungeeignet und ganz unfähig, allgemeine s Elend in nur halbwegs 
ausreichender Weise zu beseitigen. Man sehö sich die Wohlthätigkeits- 
veranstaltungen unserer Zeit an, die z. B. besonders in dem reichen England 
eine erstaunliche Ausdehnung erlangt haben und mit den gewaltigsten 
Mitteln gefördert werden: völlig machtlos sind sie trotz aller Aufwendungen 
und opfervoller Mühen gegenüber dem riesengross angewachsenen sittlichen 
und wirtschaftlichen Elend dieses Landes. Würden selbst noch viel mehr 
Mittel aufgewendet, die Wohlthäter würden eher selbst ins bedürftige Elend 
iher ab sinken, als dass das Elend eine merkbare Linderung erführe. Solcher 
•allgemeinen Not gegenüber hilft durchaus kein anderes Mittel, als die Quelle 
verstopfen, aus der sie unaufhörlich hervorbricht. Die Quelle unserer 
wirtschaftlichen Not, auf der auch zum grössten Teile das sittliche Elend 
beruht, ist aber die unbrüderliche, einer höheren Gemeinschaft ins Gesicht 
schlagende, auf Beherrschung und Ausbeutung der Schwachen ausgehende 
Wirtschaftsordnung, deren verderblicher Widerspruch sich durch die Vervoll 
kommnung der Technik und des Verkehrs aufs höchste verschärft hat. Dies 
braucht hier nicht näher nachgewiesen zu werden, da durch Bethätigung echt 
lebenskräftiger Grundsätze der thatsächliche Beweis geführt worden ist, wie 
in rechter Gemeinsamkeit einer freiheitlichen und gerechten Ordnung das 
wirtschaftliche Elend vermieden werden kann. In nur sechsjähriger Thätigkeit 
hat die Obstbaugenossenschaft Eden bei Oranienburg diesen Beweis für jeden, 
der sehen will, überzeugend geführt. Wer dies Unternehmen noch nicht kennt, 
wird in einem demnächst erscheinenden Bericht darüber Auskunft finden. 
Wollen wir also im Sinne unserer Anschauung auf das allgemeine 
Elend bessernd und heilend einwirken, dann dürfen wir unser Gewissen 
nicht durch sentimentale Wohlthätigkeit zu beschwichtigen suchen, mit 
klarer Erkenntnis und festem Entschlüsse müssen wir in unsern Reihen den 
genossenschaftlichen Erwerb und die genossenschaftliche 
Verteilung der produzierten Güter organisieren. 
Nur auf dieser Grundlage echter Gemeinsamkeit können die Be 
strebungen der Naturfreunde eine Macht zur sozialen Gesundung 
werden. Die genossenschaftliche Gemeinsamkeit entspricht einzig 
und allein ihren Grundsätzen lebenskräftiger Gesundheit und Schönheit; 
vor allem ist daher in der Wirtschaft, der Grundlage höheren Kulturlebens, 
diese genossenschaftliche Gemeinsamkeit herzustellen und zu fördern. Die
	        
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