Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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Auf die Aerzte ist Priessnitz nicht gut zu sprechen. Ich habe, sagt 
er, an einen Einzigen geglaubt und mir alle mögliche Mühe gegeben, ihm 
meine Heilmethode zu lehren, die er mir von allen meinen Schülern am 
besten aufgefasst zu haben schien. Aber nichtsdestoweniger hat derselbe 
nicht die Kraft gehabt, meine Methode durchzuführen; er ist vielmehr der 
Mode unterlegen und heilt jetzt wieder mit Dampfbädern, die schon deshalb 
nichts taugen, weil sie die Lunge zu sehr erhitzen. 
Es ist aber auch lächerlich, wie sich viele der legitimen Jünger 
Aeskulaps hier betragen, Sie sind grösstenteils von ihren Regierungen 
hierher geschickt, um bei Priessnitz die Wasserheilkunde zu studieren. 
Aber sie thun in der That nichts weiter, als dass sie einige Glas Wasser 
trinken, ein Douchebad nehmen, die Badewannen ausmessen, vornehm über 
Priessnitz räsonnieren, ihn für einen Charlatan erklären, dessen Heilmethode 
durchaus nichts Neues enthalte, sich an einige Hypochonder, deren es hier 
wie anderswo natürlich giebt, anschliessen und diese gegen Priessnitz auf 
zuhetzen, ihnen wohl gar noch Medizin einzureden suchen und so gegen 
die Gräfenbergische Hausordnung zu sündigen, deren Paragraph 7 aus 
drücklich sagt: 
„Ich sehe mich genötigt, im Falle Aerzte hier anwesend sein sollten, 
diese zu ersuchen, sich eines jeden Urteils gegen die hiesigen Kurgäste zu 
enthalten, im Fall ihnen dies aber nicht möglich sein sollte, die Anstalt 
lieber baldmöglichst zu verlassen.“ 
Doch giebt es auch Aerzte, die die Erfolge rückhaltlos anerkennen. 
So schreibt ein Wiener Arzt: „Wer die wahre Kraft des Wassers bewundern 
will, muss die Behandlung in Gräfenberg sehen, und der grösste Arzt, und 
sollte er auch der bitterste Feind von Priessnitz sein, muss ihn als ein un 
erklärbares Phänomen am medizinischen Horizont anerkennen.“ 
Oft haben die Aerzte Priessnitz bereden wollen, neben dem Wasser 
Medizin zu reichen. Hier blieb derselbe aber immer eisenfest; sogar den 
Gebrauch der Seife und des Zahnpulvers verwirft er. 
Er hat einen scharfen Blick, die Menschen zu beurteilen und erkennt 
meistens sofort, wo es fehlt. Einem walachischen Major, der ihm versicherte, 
dass er nie Medizin genommen habe, erwiderte er: „Medizin wohl nicht; 
aber Sie haben viel Aderlass genommen; das sehe ich an Ihrer Haut.“ — 
„Meiner Treu,“ antwortete der Major erstaunt, „Sie haben recht“. 
Die Art, wie man Priessnitz den Hof macht, hat oft etwas sehr 
Komisches, und zu verwundern ist es, dass er bei all den Huldigungen 
nicht eitel und aufgeblassen wird. Ich habe, sagt v. Kobbe, überhaupt an 
Priessnitz nie einen unedlen Zug bemerkt. 
Noch schneller als ihr Gemahl hat Madame Priessnitz bäuerische 
Herkunft und ländliche Erziehung überwunden. Sie hat ganz den Ton 
einer vornehmen Wienerin, und ihr Benehmen gegen die vornehmen Damen, 
welche ihr, wohl hauptsächlich um des Mannes willen, auf eine auffallende 
Weise die Cour machen, ist so leicht, so ungezwungen, als ob sie eine ge- 
borne Fürstin wäre. Sie ist dabei eine hübsche und kreuzbrave Frau, 
welche sich auch nach Kräften des Haushalts annimmt, den sie leider zu 
ihrem eigenen Nachteil nicht ganz zu übersehen vermag. Von den sieben 
Kindern, die ihm seine Frau geboren hat, sind ein Knabe und ein Mädchen 
gestorben. Die noch lebenden fünf Kinder sind Mädchen. Die beiden 
ältesten sind in einer Pension in Troppau, die drei jüngsten zu Hause. Da 
man sonst keine Kinder auf dem Gräfenberg sieht, so werden diese von 
den Kurgästen natürlich sehr verhätschelt. 
Der Spruch, dass der Prophet nichts gilt in seinem Vaterlande, be 
wahrheitet sich auch hier wieder. Es fällt den Leuten aus der Gegend 
nicht ein, sich in Krankheitsfällen an Priessnitz zu wenden; keiner erweist 
ihm Dankbarkeit, und obgleich die ganze Gegend durch ihn zu materiellem 
Wohlstand gelangt ist, fällt es dennoch keinem ein, dies anzuerkennen.
	        
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