Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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zwei Minuten, nicht länger. Die Douche ist das heroischste Mittel in der 
ganzen Wasserkur (vergleiche Kneipps Blitzguss) und wirkt bei An 
schwellung der Drüsen und Gelenke, bei Flechten und Hautausschlägen- 
geradezu Wunder. 
Mit einem wahren Wolfshunger begeben sich nun die Patienten auf 
dem geradesten Wege zur Anstalt zurück. Vor dem grossen Salon stehen 
Bäckermädchen, welche Weissbrot feilbieten. Im Saal stehen für 200 bis 
300 Menschen süsse Milch, Butter und eine Art gesäuertes Brot, wovon 
jeder nach Herzenslust gemessen kann. Je sieben Personen bilden eine- 
Tischrunde und haben sich brüderlich in das Gegebene zu teilen. Speise ist. 
immer genug da, und eine Nachforderung wird nicht versagt. Wer es- 
wünscht, dem wird auch Buttermilch gereicht. Bedient wird von sehr- 
hübschen Kellnerinnen. Da Priessnitz sehr streng auf Sittlichkeit hält, so- 
gilt es für eine Ehre, wonach viele Mütter für ihre Töchter trachten, auf 
dem Gräfenberg zu dienen. 
Sobald das Frühstück beendet ist, ziehen sich die meisten weiblichen. 
Kurgäste in ihre Zimmer zurück. Die Mehrzahl der Herren schlüpft in das- 
Billardzimmer, um Bauchopfer darzubringen. Priessnitz ist das Billard 
zimmer verhasst, da er gegen alles Bauchen bei der Wasserkur ist. Doch- 
lässt er es geschehen. Um 11 Uhr muss das Billardzimmer geräumt, 
werden, damit jeder seinen Kurvorschriften nachkommen kann. Dazu gehört. 
vornehmlich ein Sitzbad, das von den meisten genommen werden muss. 
Nachdem dies überstanden, wird ein Spaziergang gemacht. Das Gespräch 
dreht sich hauptsächlich um „Krisen“. Jedes Jucken, jedes Uebelsein, jede- 
Anschwellung wird von Wasser Schwärmern als Krisis gedeutet. 
Die Glocke ertönt; man leutet zum Mittagessen. So hungrig alle auch 
sind, so ist es doch Sitte, erst beim zweiten Gebimmel, das eine Viertel 
stunde später ertönt, zu erscheinen. Es wird eine Suppe aufgetragen und 
— wenn man Priessnitz’ Anordnung befolgen will, erst gegessen, wenn sie> 
erkaltet ist. Ueberhaupt ist er gegen alle warme Speisen. 
Alle Speisen sind frei von fremdem Gewürz, das er nur dort passend 
findet, wo die Natur es hervorbringt. Wein ist durchaus verboten. Da» 
Essen besteht aus Suppe, Bindfleisch und einem dritten Gericht, welches* 
entweder Braten oder ein Mehlgericht mit einer Zuspeise ist. Das Essen- 
ist gut, wenngleich es nicht an Leuten fehlt, die es bemängeln; Magen 
leidende speisen an einem besondern Diättisch. 
Während der Tafel, die ein paar Stunden dauert, damit jeder langsam? 
die kaltgewordenen Speisen zu sich nehmen kann, wird auf Priessnitz’ An 
ordnung ziemlich viel Wasser getrunken, etwa eine Flasche von jedem. 
Nach Tisch strömt alles zu Priessnitz, dessen Platz sich am Ende der Tafel 
befindet, wo jeder den grossen Arzt um Bat fragt und blitzschnell Antwort 
erhält. Natürlich kann die Antwort bei der grossen Zahl der Fragenden 
nur kurz sein. Auf längere Unterredung lässt sich Priessnitz sowohl bei 
seinen Besuchen, als auch bei einzelnen Audienzen ein, die er gewöhnlich, 
zwischen 4 und 5 Uhr nachmittags erteilt. 
Nach beendeter Mittagstafel suchen die meisten ihr Zimmer auf, um 
auszuruhen. Der Mittagsschlaf ist im allgemeinen verboten; doch wenn bei 
einigen das Bedürfnis danach allzu gross ist, so lässt Priessnitz sich zu. 
sehr von den Winken der Natur leiten, als dass er nicht auch Ausnahmen ge 
stattete. Andere begeben sich ins Billardzimmer. Wieder andere machem 
einen Spaziergang nach Freiwaldau, um dort als Ersatz für den verbotenen. 
Kaffee ein Tässchen von Priessnitz gestattetem Boggen - Kaffee zu ge 
messen. 
Um 4 Uhr geht die Prozedur vom Morgen: das Schwitzen, Baden.. 
Wassertrinken, Spazierengehen, bei kräftigen Naturen auch Douchen, von 
neuem wieder an und beschliessen die tägliche Kur. So geht es Tag aus,. 
Hag ein. Wenn man etwa glaubt, dass das des Guten zuviel sei, so höre und) 
sehe man die guten Erfolge hier. Und Thatsache ist es, sagt v. Kobbe, dass
	        
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