Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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nichts von Schwindsucht. An der Südküste Afrikas giebt es Stämme von 
Eingeborenen, die stolz auf ihre grossen Rindviehherden sind; sie gemessen 
sowohl die Milch als das Fleisch ihrer Herden, sterben aber wie die Fliegen 
an Tuberkulose. Hundert Meilen nach dem Inland zu, wo die todbringende 
Tsetsefliege jegliche Rindviehzucht unmöglich macht, hat man keine 
Kenntnis davon, dass jemals irgend ein Mensch an Lungenschwindsucht 
oder an einer andern auszehrenden Krankheit gestorben ist. Die Bevölke 
rung Islands züchtet zwar Vieh, geniesst aber weder Milch noch Fleisch; 
Schwindsucht ist aber dort so gut wie unbekannt. In Australien und Neu 
seeland, in welchen Ländern früher die Rinderrasse gar nicht existierte, gab 
es eine Zeit, in welcher man nie etwas von Tuberkulose gehört hatte. Im 
Jahre 1826 wurde die Bevölkerung von einer wahren Viehzuchtmanie er 
griffen. Rindvieh wurde in ungeheuren Mengen eingeführt und heute bilden 
diese Länder wahre Brutstätten der Schwindsucht, sodass die Sterblichkeit 
30 pro Tausend erreicht. (Und doch besitzen diese Länder ein ausser 
ordentlich gesundes Klima.) In Neuseeland hat diese Krankheit solche 
Verheerungen angerichtet, dass die Eingeborenen als eine erloschene Rasse 
betrachtet werden können. In der Schweiz beweist die sorgfältig durch 
geführte Sterblichkeitsstatistik über allen Zweifel hinaus, dass die Ausr 
zehrung in ganz genauem Verhältnis zu der Zahl der gehaltenen und zu 
Nahrungszwecken benutzten Rinder steht. Wo das Vieh am zahl 
reichsten, ist die Sterblichkeit am grössten. Weiter aufwärts 
in den Bergen, wo nur noch Schaf und Ziege leben können, ist diese 
Krankheit fast unbekannt. Thatsachen weisen darauf hin, dass die Neigung 
zu tuberkulöser Erkrankung bei denjenigen Rindviehfamilien am grössten 
ist, bei denen Inzucht stattfindet.“ Vorstehende Sätze sind einem Vortrage 
entnommen, den Dr. Zuell in der Veterinary Medical Society in Philadelphia 
gehalten hat. Diesen Thatsachen gegenüber kann wohl die Schädlichkeit 
des Genusses von Rindfleisch und Kuhmilch kaum geleugnet werden. Ein 
Lehrer Ostfrieslands, der in diesem Jahre mehrere Wochen wegen „Lungen 
leidens in höherem Stadium“ in meinem Erholungsheim weilte, betonte 
wiederholt: „Nervenleidende giebt es in Ostfriesland nicht, wohl aber un- 
gemein viel Lungenkranke.“ Und die Rindviehzucht Ostfrieslands ist weit 
und breit als musterhaft bekannt. 
Treten wir nun der Frage näher: Welches Moment ist es, das die 
Kuhmilch zu einem schädlichen Nahrungsmittel macht? Sind es die Ba 
zillen oder ist die Ursache einem' andern Umstande zuzuschreiben? Ueber 
diese Frage giebt ein interessanter Versuch des Stabsarztes Dr. Hiller Auf 
schluss. Genannter Forscher reinigte nämlich durch Thonfilter die bis 
dahin im schlimmsten Rufe der Krankheitserregung stehenden Bazillen, wie 
z. B. Milzbrand-, Rotz- und Tuberkelbazillen von den ihnen anhaften 
den Kranklieitssekreten, wusch sie dann noch säuberlich mit destilliertem 
Wasser und verimpfte und verfütterte sie dann an verschiedene, für die 
betr. Krankheiten sehr empfängliche Versuchstiere. Und siehe da, keines 
dieser Ve r s u c h s t i e r 6 erkrankte. Wenn aber Hiller die von den 
Bazillen abfiltrierten Krankheitsabsonderungen verfütterte oder verimpfte, 
dann entstanden zwar nicht die spezifischen Krankheiten, welchen jene 
Stoffe entstammten, aber wohl schwere Darmentzündungen, Koliken, Krämpfe 
u. s. w., und die meisten Versuchstiere gingen ein. Wurden endlich diese 
Krankheitssekrete mit den ihnen eigentümlichen Bazillen verimpft oder ver 
füttert, so entstanden in . einigen Fällen jene Krankheiten, denen die Sekrete 
entstammten, in andern wieder nicht. 
Aus diesem Experiment geht auf alle Fälle mit mathe 
matischer Schärfe hervor, dass die Bazillen an und für sidi 
es nicht sind, welche die betreffenden Krankheiten erregen 
und verbreiten. Es ist vielmehr der den Bazillen an 
haftende Schmutz etc., der wesentlich zur Krankheitsver 
breitung beiträgt.
	        
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