Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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feuchten Häusern für das Zustandekommen der eitrigen Blutvergiftung ver 
antwortlich macht. Wo organische Substanzen mit nasser, stockender Luft in 
Berührung kommen, da bilden sich Zersetzungsgase (Ammoniak), welche durch 
die Atmung ins Blut gelangen und das Blut verderben. Deshalb ist an die 
Verhütung der Wiederkehr des sog. „akuten Gelenkrheumatismus“ so lange 
nicht zu denken, als die Betreffenden in feuchten Keller-, Souterrain- und 
Parterrewohnungen wohnen oder in feuchten Niederlagsräumen, Kontoren, 
Werkstätten etc. arbeiten. Der Mangel an Lüftung beschleunigt selbstverständ 
lich den Ausbruch der Krankheit. Nicht unerwähnt will ich lassen, dass auch 
das zu frühe Beziehen von Neubauten ziemlich oft die Ursache der wandernden 
akuten Gelenkentzündung ist. 
Wenn also die Ursache des sog. „akuten Gelenkrheumatismus“ keine 
rheumatische ist und wenn die Gelenkentzündungen durch Einschwemmung von 
eiterähnlichen Stoffen, welche im Blute kreisen, entstehen, so ist es auch 
widersinnig, die Behandlung des sog. „akuten Gelenkrheumatismus“ unter Fern 
haltung von Wasser, frischer Luft und Kühlung durchzuführen, wie das leider 
heutzutage geschieht. Ich habe Kranke gesehen, welche von dem eigenen 
Schmutze förmlich gelb gefärbt waren und durch das viele Schwitzen eine 
förmliche Firniskruste am Körper hatten, weil man ihnen jede Körperbenetzung 
„ärztlich streng verboten“ hatte; ich habe Fiebernde gesehen, welche man aus 
Erkältungsfurcht „recht warm am Ofen halten“ musste, weil sie den „Rheuma 
tismus“ hatten. Ueberhaupt wird bei der jetzigen Behandlung des sog. „akuten 
Gelenkrheumatismus“ möglichst nur das gethan, was dem Kranken schaden muss. 
Man steckt den Kranken trotz des hohen Fiebers in Wolldecken oder wickelt 
ihn gar ganz in Watte ein, weil die Bettfedern „süchtig“ sind und „trockene 
Wärme“ gut thut, man unterdrückt die Hautausscheidung, welche sich durch die 
kollosalen Schweisse infolge der erhöhten Thätigkeit der Naturheilkunst äussert 
durch Vernachlässigung der primitivsten Hautpflege; nicht einmal die freiwillige 
Verdunstung des Schweisses gestattet man, geschweige denn, dass man durch laue 
Waschungen die mit klebrigen Schweissriickständen verunreinigte Haut reinigt. 
Zum Ueberfluss beschmiert man ganze Körperteile mit Bilsenkrautöl, Tafelöl, 
Opodeldoc, flüchtig Linement, Kampherterpentinlösung, Jodtinktur, Jodkolodium, 
Salicylsalbe und wie die „Schmieren“ alle heissen, damit ja die Hautporen 
recht verkleistert werden. Und einen „Rheumatismuskranken“ gar bei offenem 
Fenster schlafen lassen? Wie leicht könnte er sich erkälten, der Doktor hat 
gesagt, „ja keine Kälte“, und deshalb bekommt der Aermste auch keine 
frische Luft. 
Die „Krankenfreunde“ Salicyl und Salipyrin tliun auch noch das ihrige. 
Abgesehen davon, dass die Salicylsäure die Zähne verdirbt und den Magen 
belästigt, der doch so wie so beim Fieber krankhaft entzündet ist, wirken diese 
Mittelchen (Pulver) auch schwächend aufs Herz und unterdrücken das Heil 
bestreben des Organismus. Prof. Liebermeister sagte erst kürzlich im Archiv 
f. diät. u.-phys. Therapie Bd. II, Heft II: „Zunächst ist zu bedenken, dass 
alle antipyritischen Mittel Gifte sind, die in übermässigen Gaben eine 
Schädigung, namentlich der Herzthätigkeit zur Folge haben.“ Und was man 
von dem Begriff „übermässige Gaben“ halten muss, dass sagt uns einer der 
grössten Pharmakologen der Jetztzeit, Prof. Hugo Schulz, Greifswald: „Kranke 
Organe, kranke Organismen reagieren schon auf Arzneireize, die für gesunde 
noch als wirkungslos angesehen werden können“ (D. med. Woch. 1899 No. 14, 
S. 218). Ist uns da nicht wohl die Frage erlaubt: Wenn schon so winzige 
Mengen Arzneistoffe für den kranken Organismus ein Reiz sind, wieviel mehr 
muss da nicht ein Gift, wie es das Salicyl und djas Salipyrin sind, reizend auf 
den kranken Organismus wirken? Und über die Salicylsäure äussert Dr. Quinke 
in der Berliner klinischen Wochenschrift 1887, dass sie Delirien (Irrereden), 
Dyspnoe (Atemnot) erzeugt, und Levin schreibt ihr in „Nebenwirkungen der 
Arzneimittel“ Ohrensausen durch Lähmung der Gehörnerven, Störungen des 
Gentrainervensystem und Herzlähmung zu. 
Die Erfahrung bestätigt, dass mit Salicyl, Warmhalten, Ein wickeln in
	        
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