Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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Ein naheliegendes Mittel, um die beiderseitigen Schädigungen (der 
erregenden Fleischkost einerseits und der erschlaffenden Pflanzenkost anderer 
seits) auszugleichen bot sich nun in der Verbindung der beiden Kostarten 
dar und diese sogenannte „gemischte Kost“, mit mehr oder weniger Fleisch 
je nach den Verhältnissen, ist nicht nur v die populärste und verbreitetste, 
sondern wird auch heutzutage noch von den meisten Vertretern der Er 
nährungswissenschaft als die einzig richtige erklärt. 
Eins ist jedenfalls zuzugeben: Die gemischte Kost ist einer unzweck 
mässigen Pflanzenkost vorzuziehen und man kann in der That bei ge 
mischter Kost kaum solche verhängnisvollen Einseitigkeiten und Ernährungs 
fehler begehen wie bei reiner Pflanzenkost, was jeder bezeugen kann, der 
Gelegenheit hatte, die unglücklichen Opfer verkehrter Ernährungsexperimente 
zu beobachten. 
Aber der Ausdruck „Pflanzenkost“ als natürliche Nahrung des 
Menschen ist eben auch viel zu allgemein. Der Mensch ist von Natur kein 
„Pflanzenesser schlechthin“. Wer unsere obige Darstellung genau be 
trachtet, wird finden, dass sich daraus ergiebt, dass der Mensch von Natur 
weder ein Fleischfresser noch ein Grasfesser, sondern ein Fruchtesser ist 
und dies sagt uns ja auch ohne weiteres unser Instinkt; denn weder das 
Fleisch noch die Grassamen und Hülsenfrüchte reizen uns in ihrem rohen 
Zustande zum Genüsse, dagegen die meisten Früchte. 
Sollen wir also etwa wieder zur reinen Fruchtkost zurückkehren? 
Hervorragende Aerzte und Hygieniker antworten hierauf mit einem ent 
schiedenen: Ja. Sie machen die Abirrung von der natürlichen Nahrung für 
die meisten Krankheiten verantwortlich und erhoffen völlige Gesundung nur 
von einer entschiedenen Umkehr. Als Kurform liefert die Fruchtkost in der 
That ganz vorzügliche Resultate und es ist interessant, den leitenden Gedanken 
eines bedeutenden Vertreters derselben zu verfolgen. Er sagt: Jedes Tier hat 
seinen eigenartig geformten Kot (man denke an Pferd, Rind, Hund, Katze). 
Jede Abweichung von der natürlichen Nahrung hat aber eine Difformierung 
desselben zur Folge und dauert diese Abweichung länger, so tritt Krankheit 
und Entartung ein. Auf den Menschen angewendet heisst dies: Ein normaler 
Gesundheits- und Kräftezustand ist nur bei normaler Darmentleerung möglich, 
und diese wiederum nur bei normaler, d. h. natürlicher Ernährung. 
Beachtenswert bei dieser Anschauung ist jedenfalls (und kann besonders 
Verdauungsleidenden nicht eindringlich genug vorgehalten werden), dass die 
Beschaffenheit der Stuhlentleerungen einen wichtigen Anhaltspunkt giebt für 
die Zweckmässigkeit der Ernährungsweise. Wir würden uns auch ohne 
weiteres der Forderung, zur reinen Fruchtkost zurückzukehren, anschliessen, 
wenn der Mensch sich noch in seiner Heimat (den Tropen) und in seinem 
paradiesischen Urzustände befände, also den ganzen Tag unbekleidet in freier 
Luft und Sonnenlicht sich tummelnd und mit weiter nichts beschäftigt, als die 
Früchte zu pflücken, die ihm die Natur freiwillig darbietet. Aber der Mensch 
hat sich von seiner warmen Heimat entfernt und in Himmelsstriche begeben, 
wo das Nacktgehen unmöglich ist und wo Früchte spärlich und nur bei sorg 
samer Kultur wachsen. Er muss also arbeiten und er hat sich unter dem 
Drang der Verhältnisse zu einem neuen Typus: zum Arbeitsmenschen (man 
könnte leider oft richtiger sagen: zum Arbeitstier) entwickelt, an dessen 
Körper ganz andere als die ursprünglichen natürlichen Anforderungen gestellt 
werden. Und ob nun hierzu die reine Fruchtkost ausreicht, ist eine Frage, 
die wir nur dadurch lösen können, dass wir den Körper wieder (wie unser 
erster Artikel zeigt) als Arbeitsmaschine näher ins Auge fassen mit seinem 
jeweiligen Bedarf an Heiz- und Baumaterial.
	        
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