Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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Seither ist aber die Genesung stetig fortgeschritten und nach Jahr und Tag 
teilte uns Fr. K. mit, dass sie sich als völlig geheilt fühle; der Wendepunkt 
zum Bessern aber trat mit jener Blutung ein, welche scheinbar verfrüht, 
ausser der Zeit erschien. Die Reizung der Nerven, Brennen im Rücken, 
Klopfen im Kreuz waren also auf eine Blutstockung zurückzuführen, welche 
durch das zu plötzliche Anhalten der Periode mittelst kalter Sitzbäder 
hervorgerufen war. Da die erste Wirkung derselben eine so günstige war, 
konnte leicht die Nachwirkung mit ihrem schädlichen Einfluss unbeachtet 
bleiben. 
Kinderpflege und Schulhygiene. 
Leibliche und geistige Verdauungsträgheit unserer heutigen 
Zwischen -Vier- Mauern - Schule. 
Lebensheimer Erziehungsbrief von Peter Johannes Thiel, Lehrer, Elberfeld. 
Wer von uns hätte nicht in seinem Schullesebuche die launige Ge 
schichte von jenem Allweil-Kranken gelesen, der ganze Feuereimer voll 
Arzneien und Pillen verschluckte und erst auf den Rat eines fernen Doktors 
durch die vieltägige Fusswanderung zu demselben den „Lindwurm“ in seinem 
Bauche tötete? Das haben wir in der Schule gelernt, um es schleunigst 
wieder zu verlernen, weil dieselbe Schule just das Gegenteil von dem ver 
langte, was sie uns lehrte. So haben wir alle in der Schule gelernt, dass 
nur durch Thätigkeit aller Glieder und Organe auch die Verdauung zur 
regen Thätigkeit angeregt wird. Ferner wissen wir, dass unter Verdauung 
nicht nur die Verarbeitung der Speise in Magen und Darm zu verstehen ist, 
dass vielmehr der ganze Stoffwechsel von der Aufnahme der Speise in den 
Mund und des Milchsaftes ins Blut bis zur Wiederabsonderung der Aus 
wurfstoffe durch alle Ausscheidungsorgane die ganze Verdauung umfasst. 
Erst dann haben wir die Nahrung recht verdaut, wenn sie in ihren leib- 
aufbauenden Bestandteilen wirklich zu gesunden Leibesteilen geworden ist. 
Freilich ist dieser ganze Vorgang ein unwillkürlicher und geht ohne unser 
Handeln vor sich, sogar im Schlafe. Aber ebenso bekannt ist uns allen, 
wie dieser Stoffwechsel beim Wandern und Wirken viel schneller von statten 
geht. Beim längeren Fussmarsch werden wir rasch hungrig, d. h. wir habpn 
rasch verdaut. Und Hunger ist nicht nur der beste Koch, sondern auch 
der beste Arzt. Ohne Hunger keine rege Verdauung! Der Hunger be 
deutet: „Bahn frei! — Vorwärts mit Volldampf!“ Und die Speise rutscht 
nur so durch den Körper. Aber der Mangel an Hunger ruft: „Stopp! — 
Einfahrt nicht frei!“ Und dennoch wird von der Kulturmenschheit ge 
gessen, wider die Sattheit, die Allweil-Sattheit! Und da schleicht die 
Nahrung von Notsignal zu Notsignal! Die Speise schleicht, das Blut schleicht, 
die Auswurfstoffe schleichen, der Mensch schleicht, die ganze Naturmenschheit 
schleicht! Keine Spur von der Lebhaftigkeit und Lebensüberfülle und 
Thatenfreudigkeit und Sieghaftigkeit des Naturmenschen! Die Blutgefässe 
sind versandet, die Blutkörperchen gestrandet. Das Blut hat sich im ganzen 
Körper versackt, verdickt, verfault. Man schreit nach Massage, um die 
Flussbette auszubaggern von Schutt und Geröll. Blutarmut! Das ist neben 
der Nervosität das Zeichen der Zeit. Man ist arm an Blut, d. h. an flüssigem, 
fleissigem Blut. Mangel an Blutumlauf! Weil Mangel an Lauf überhaupt. 
Die Karre läuft nicht mehr, weil die Räder nicht laufen wollen, weil die 
Räder verrostet sind. Und die grösste Schuld an dieser Lebensfaulheit hat 
unsere heutige lebensarme Zwischen-Vier-Mauern-Schule mit ihrem viel- 
stündigen Stillhocken und Brachliegen aller Glieder und Organe! 
Und wie steht es geistig mit dieser Kerkerschule? Hat ein einziger 
dieser schultornister-bepackten Rekrutehen den geringsten Hunger nach 
geistiger Nahrung während des Weges zur Schule? Den geringsten Durst 
nach dem Tranke des Geistes?
	        
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