Volltext: Der Naturarzt 1899 (1899)

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Beziehung etwas Belustigendes, besonders wenn einmal ein Raritäten- 
kabinet geöffnet wird, das von dem Stehlfleiss einer von diesem Drange 
beseelten zusammen getragen worden ist. Angehörige pflegen wohl 
die Taschen einer solchen von Zeit zu Zeit zu untersuchen und den 
Familien die entführten Sachen wieder zuzustellen. Fingerhüte, Thee- 
löffel, Serviettenringe, Porzellansächelchen, Nippfiguren und wer weiss 
was, verschwinden oft für einige Tage, kommen dann wieder an und 
man lacht. Schlimmer wird die Sache, wenn sich die Kleptomanie 
im öffentlichen Leben ergeht, wenn sie in Läden auftritt. Die junge 
Frau eines Beamten meiner Bekanntschaft plünderte förmlich in der 
ersten Zeit ihrer Ehe die Juwelierläden, bis ihr endlich das Hand 
werk gelegt wurde. Welch eine Qual für den Ehemann! Hatten die 
Eltern der Frau demselben wohl den Hang der Tochter mitgeteilt, 
wie es ihre Pflicht war? Wir glauben es nicht. 
Lavater erzählt von einem Arzte, der aus allen Krankenzimmern 
mitnahm, was er fassen konnte, bis dessen Frau dahinterkam und die 
Scheeren, Messer, Löffel und Fingerhüte in den Rocktaschen ihres 
Mannes heimlich zurücksandte. Auch in dieser Manie steigert sich 
der Drang und beruhigt sich nach der That, um dann wieder all 
mählich anzuwachsen. 
Dies Steigen und Fallen beobachtet man bei allen Manieen. 
Eine unerklärliche und lästige Unruhe quält die Unseligen selbst im 
Schlafe. Ich musste es thun, das ist ihr gewöhnlicher Entschuldigungs 
grund. Die Ruhe nach der That ist ein Beweis, dass keine Spur 
von Reue oder Mitleid folgt. Was aber diese Unnatur noch schreck 
licher macht, ist die Erfahrung, dass sie sich vererbt. Mit Recht 
forscht man bei unerklärlichen Thaten nach der Vergangenheit des 
Thäters und nach dessen Eltern und Vorfahren. Welch ein unselig 
Geschick ist es, an einen mit solchem Drange Versehenen durch die 
Ehe gekettet zu sein! Nicht nur die eigene Gefahr, in der man 
schwebt, auch die Perspektive auf die Nachkommenschaft macht eine 
solche Last schier unerträglich. 
Ein besonderer Wahn ist die Querulantenmanie, die sich überall 
zurückgesetzt, überall übervorteilt und verfolgt sieht. Hier bessert 
keine Strafe, vielmehr erzielt sie Verhärtung des Uebels, bis endlich 
der Wahn- oder Blödsinn eintritt. 
Auf diesem ganzen Gebiete seelischer Krankheiten handelt es 
sich weniger um Erziehungs-, sondern meist um Erbfehler. Freilich 
trägt eine falsche Erziehung dazu bei, die Keime zu entwickeln, be 
sonders aber in Bezug auf Grössenwahn, sie rascher zur Entfaltung 
und zur Steigerung zu bringen; wo aber die Anlage nicht vorhanden 
ist, wird selbst eine unrichtige oder unnatürliche Erziehung sie nicht 
hervorbringen. 
Oft kommt es vor, dass solche Kranke sich in einer Weise ver 
halten, dass man an Simulation denken muss, denn an der Grenze 
zwischen Vernunft und Unvernunft schwankt das Zünglein an der 
Wage. Zuletzt aber tritt die Entscheidung ein und die wirft dann 
ein klärendes Licht auf so viele unerklärliche Handlungen und 
Thaten. 
War’s Hamlet, der Laertes kränkte? Nein, 
Wenn Hamlet seinem eignen Selbst entrückt ist 
Und, wenn er nicht er selbst, Laertes kränkt,
	        
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