Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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Dr. Dürr, Arzt am Henriettenstift und der Blindenanstalt in Hannover, nahm 
bei 318 Schülern ein Lähmungsexperiment der Augen mit Homatropin vor und be 
einträchtigte dadurch die Anpassungsfähigkeit der Augen. 1 ) 
Die scheusslichen Experimente an 14 Waisenknaben mit Blatterngift, 
ferner die Herz exp erimente der Prof. Ziemssen, Penzold, Filehne, ferner das 
Tuberkulinexperiment an 44 Hekruten in Würzburg etc. sind durch die Ver 
öffentlichungen des Dr. B. Koch 2 ) weiteren Kreisen bekannt geworden. Auch 
das verwerfliche Experiment Prof. Epsteins, der 3 Kindern Spulwurmeier in 
Kothkulturen zu essen gab und massenhaft Spulwürmer erzeugte, die er nicht 
gänzlich wieder abtreiben konnte, ist bekannt. 3 ) 
Es ist selbstverständlich nicht möglich, allen den Dingen, die sich hinter 
den Mauern der Spitäler und Universitätskliniken abspielen, auf die Spur zu 
kommen, aber die vorstehenden Andeutungen geben davon ungefähr ein Bild. 
Wie soll es erst werden, wenn jeder Gegner durch die Aufhebung der Kurier 
freiheit mundtot gemacht wird; nehmen doch schon jetzt die Aerzte ein ge 
wisses Züchtigungsrecht für sich in Anspruch gegenüber ihren Patienten. 
Prof. Strassmann-Berlin 4 ) erklärt unter Berufung auf Oppenheim, „dass 
der Arzt sicherlich, da ja der Patient sich zu ihm in ein gewisses Gewalts 
verhältnis versetzt, innerhalb mässiger Grenzen ein Hecht zur Dis 
ziplinierung seines Patienten habe“. — 
Zeigen sonach schon die kurzen Ausführungen dieses Artikels, dass die 
Aufhebung der Kurierfreiheit nur einem herrschsüchtigen Teile der Aerzte- 
schaft Hechte giebt auf Kosten der Gesamtheit, so wird die seiner Zeit den in 
Frage kommenden Instanzen und besonders den Abgeordneten vorzulegende 
Denkschrift klarlegen, dass die Aufhebung der Kurierfreiheit geradezu eine 
Gefahr für das deutsche Volk bedeutet. Herr Dr. Bosse, der preussische Kultus 
minister, mag ja geleitet werden von den besten Absichten, keinesfalls aber 
von guten Hatgebern, die den Bedürfnissen des Volkes Verständnis entgegen 
bringen. Jedenfalls befindet sich das Ministerium Bosse auf einer schiefen 
Ebene, und es wird über kurz oder lang mit seiner unheilvollen Politik zu Falle 
kommen. 
Der Herr Minister hätte sich vorerst klar werden müssen, dass er der 
Aerzteschaft mit den Hechten auch Pflichten giebt, er hätte sich klar sein 
müssen, dass das Volk von den staatlich allein genehmigten Heilkünstlern 
mehr fordern darf, als von den Heilkünstlern, denen es frei sein Vertrauen 
schenkt, er hätte sich klar werden müssen, dass er bei Aufhebung der Kurier 
freiheit dem Volke eine Gewähr geben muss für die moralische und wissen 
schaftliche Qualifikation der denselben aufgedrungenen Aerzte, er hätte sich 
klar sein müssen, dass die alleinige Anerkennung einer Heilmethode nur 
dann eine Berechtigung hat, wenn diese Methode mit Sicherheit alle heilbaren 
Krankheiten erfolgreich zu behandeln vermag. 
Da keine dieser Voraussetzungen zutreffend erscheint, so wird sich der 
Herr Minister die schärfste Kritik gefallen lassen müssen, und er darf sich 
nicht darüber wundern, wenn der Unwille des Volkes gegen das herrschende 
System zunimmt. Wir dürfen nicht vergessen, dass mit der Zunahme des 
allgemeinen Unwillens auch die Staatsgrundlagen erschüttert werden, denn die 
Geschichte der Monarchien beweist es zur Genüge, dass leider meist die 
Herrscher oder ihre Dynastien verantwortlich gemacht wurden und zu leiden 
hatten unter den Folgen der Massnahmen schlecht beratener oder übereifriger, 
zuweilen auch unfähiger Minister. — 
Heinh. Gerling. 
x ) Dr. C. Dürr, Sanit.-Rat. Die Entsteh, der Kurzsichtigkeit. S. 33. Braun 
schweig. Verl. v. J. H. Meyer. 
2 ) Dr. Koch. Aerztl. Versuche an leb. Menschen. Verl, vonM. Voigt, Leipzig. 
3 ) Verh. über d. Vers. v. Naturforsch, u. Aerzten. 1891. Abth. Sitzungen. S. 323. 
4 ) Aerztl. Sachverst. Ztg. No. 1. 1898.
	        
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