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Mutter, auch ein kleines Kind haben zu wollen, welches es ausschelten und
liebkosen kann; es ist vielmehr der Ausfluss tief innerster Charaktereigen-
tümfichkeiten, die mit dem „ewig Weiblichen“ unzertrennlich verwachsen
sind. Wie war es sonst auch möglich, dass die mutterlose Waise dieselben
kindlichen „Puppenneigungen“ zeigt!
Das Kind unserer Kinder, die Puppe, ist der Gegenstand ernsthafter
Leidenschaft, über welche wir nicht scherzen dürfen.
Wie verwerten wir ihn bei dem Erziehungswerke?
Wir suchen in der Erziehung nach Mitteln, um unseren Mahnungen
mehr Nachdruck zu verleihen. Wir erregen durch Lob und Tadel den
Ehrgeiz des Kindes, wir rechnen mit der Eitelkeit; ja selbst Furcht und
Schmerz müssen dem Erziehungswerke dienen.
Und doch sind wir uns klar, dass allen diesen Mitteln der Beige
schmack des Unmoralischen und Brutalen anhaftet.
Frei allein von allen diesen ist die Liebe.
Freilich auch hier ist der alte Satz zu beachten: Willst Du das Kind
zu Dir emporziehen, so musst Du erst zu ihm heruntersteigen. „Puppen
liebe“ aber heisst die Entwicklungsstufe, auf welcher sich die Liebe des
kleinen Mädchens befindet.
Und ist dieses Herabsteigen so schwer? Gleichen nicht unsere Ge
schäfte und Gewohnheiten bei einigem ernsten Nachdenken gar oft dem
kindlichen Puppenspiele ?
Aber gerade unsere eigenen Werke mögen uns einen Wink geben,
wie die Puppe des Erziehers beschaffen sein muss.
Je einfacher die Form und je elementarer die Mittel bei unsern
Arbeiten sind, desto grösser ist die Befriedigung über das Erreichte. Hin
weg darum mit jenen überladenen Puppengestalten, die für die Phantasie,
sowie für die Erfindungs- und Bethätigungskraft des Kindes keinen Raum
mehr lassen.
Wohl, das verwöhnte Aristokratentöchterchen wird seine „Puppendame“
mit stolzer Miene jedermann zeigen, es wird dieselbe ebenso steif in den
Puppenstuhl setzen wie es selbst bei Tische sitzen muss, es wird vielleicht
auch noch seine Puppe von dem Kinderfräulein im eleganten Puppenwagen
fahren lassen; dann ist es aber aus mit der Freude!“
Ganz anders das Kand vernünftiger, einfacher Eltern. Dasselbe hat
noch unendlich viel an und für die Puppe zu schaffen, Höschen, Röckchen
und Jäckchen etc. Lacht nicht über die Unbeholfenheit der kleinen
Schneiderin, Wäscherin, Plätterin, Stickerin und Strickerin, sondern leitet
den Trieb zur Thätigkeit in die richtigen Bahnen. Was in der Strick- und
Nähstunde oft so schwer in den Kopf und in die Finger der Kleinen
gehen will, das fliegt ihnen zu, wenn sie es aus Liebe für ihre Puppe thun dürfen.
Und wie wir bei der „Puppenerziehung“ recht wohl das Selbst
ständigwerden, die Phantasie, die Ordnungsliebe und den Sinn für Sauberkeit
ausbilden können, so vermögen wir auch fördernd auf die seelische Ent
wickelung des Kindes einzuwirken; denn auch das Püppchen ist nicht
immer artig und muss gezüchtigt werden.
Lass Dir seine Vergehen erzählen, unterhalte Dich eingehend über
die Puppenunarten mit Deinem Kinde und benutze die Gelegenheit einer
seits den Sinn für die Gerechtigkeit und anderseits für die vergebende
Liebe zu pflegen.
Und zuletzt noch eins für Dich, liebe Mutter. Sieh recht genau Mn,
wie das Kind mit der Puppe verkehrt und frage Dich dann: Woher mag
wolil die Kleine die heftigen Reden, das Schimpfwort und noch manches
andere haben, was Dir nicht gefällt?
Vielleicht geben die Beobachtungen ein Gegenstück zu jenem kaiserlichen
Worte, welches in Missbilligung über die Aus drucks weise des Kronprinzen
gebraucht wurd, es lautete: „Woher mag der Racker nur das alberne
Wort Racker haben?“