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— Ueber das Universitätsstudium der Frauen äussert sich der bekannte
Dramatiker Ernst von Wildenbruch wie folgt: „Bei der Behandlung* der soge
nannten Frauentage begebt man beute durchgängig einen Fehler, durch den
man sich, meines Erachtens, die Schwierigkeit der Beantwortung selber ge
schaffen hat. Man behandelt nämlich ,die Frau 1 als einen individuell unter
scheidungslosen Gesamtbegriff und führt dadurch bei der Beurteilung beider
Geschlechter einen Unterschied herbei, den es gar nicht giebt und in dem ich
das für das weibliche Geschlecht Kränkende erkenne. Jedermann weiss,
dass keineswegs alle Männer, also ,der Mann 4 , zum geistigen Berufe, zum
akademischen Studium befähigt und somit berechtigt sind, — jedermann weiss,
dass nur eine bestimmte Anzahl männlicher Individuen sich dazu eignen,
während die anderen eben die erforderlichen Fähigkeiten nicht besitzen. Spricht
man deshalb ,dem Mann 4 im allgemeinen Fähigkeit und Hecht zum geistigen
Berufe ab? Nicht, dass ich wüsste. Warum also wenden wir diese höcht ein
fache Beobachtungsmethode nicht auch auf die andere Hälfte der Menschheit
an? Warum spricht man immer von ,der Frau*, statt von den Frauen?
Man spricht wohl von ,dem Esel 4 , ,dem Hund 4 , ,der Katze*, — aber haben die
Frauen nicht das Hecht, dass man sie als menschliche Einzelwesen behandelt?
Im Augenblicke, wo man Sich dazu entschlösse, wäre die Frage aus der öden
Systematik, in der sie jetzt wie ein Pferd mit verbundenen Augen herum
schleicht, erlöst und zu einer praktischen gemacht, und somit wäre sie meines
Erachtens gelöst. Man prüfe das geistige Bedürfnis und die geistige Fällig
keit des weiblichen Individuums, sowie man es beim männlicheu thut — und
dann entscheide man individuell und in jedem einzelnen Fall. Woher man das
Hecht ableiten wollte, einer zum Studium befähigten Frau dies Stitdium un
möglich zu machen, ist mir unerfindlich, doppelt unerfindlich in einer Zeit, in
der man zum Bewusstsein gekommen ist, dass grosse Fragen, wenn man sie
zur Lösung bringen will, von der Höhe des Geistes aus angesehen, aber mit
praktischen Händen angefasst werden müssen.* 4
Kinderpflege und Schulhygiene.
Wider die heutige Schulkerkerei. -
Von Peter Johannes Thiel.
Motto: Licht! Luft! Wasser! Wald!
Ein frisches, fröhliches Leben ist allerorten erblüht, wohin das
Evangelium der Naturheilmethode gedrungen ist. Denn alle Anhänger
dieser neuen, frohen Botschaft haben sich voll Lebensfreude den
wieder erschlossenen Naturverjüngungsquellen Licht, Luft, Wasser,
Wald zugewandt und erhoffen eine Wiedergeburt ihres eigenen
Daseins, ihrer Familie, ihres Volkes, ja der ganzen Menschheit in der
vollen Auskostung dieser Paradiesborne. Aber was hilft alle diese
Erkenntnis und all dies frisch-fröhliche Wollen? Ist es doch ver
gebens oder doch sehr in Frage gestellt durch eine Kultureinrichtung,
welche nur zum Wohle der Menschheit, der Jugend, da sein
sollte und welche trotzdem in ihrer heutigen Ausgestaltung das
gerade Gegenteil von dem ist. Oder wer wollte leugnen, dass unsere
heutigen. Schulkasernen die Brutstätten der Krankheiten aller Art,
die heutigen Erziehüngs-, richtiger Drillweisen die Ursachen des leib
lichen Niedergangs, die ganize heutige Behandlung der Jugend der
Grund der Volksentartung ist? Wo ist ein ungesunderer Nährboden,
eine krankheitskeimreichere Luft als in dem Schulkerker mit seiner
verpesteten Schulluft, die zum hunderteinten male ihren Verbrauchs