Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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Sache schon bei der Polizei angemeldet ist — ob in der Absicht, 
nach Genesung des Patienten den Ruhm, ein diphtheritiskrankes 
Kind gerettet, zu erwerben, oder um die Statistik der durch Heilserum 
Geretteten zu vermehren, wage ich nicht zu entscheiden — und dass 
dies vorkommt, davon habe ich mich mehrere Male überzeugt. 
Um noch einmal auf die Lobpreisungen in den medizinischen 
Zeitschriften zurückzukehren, führe ich einen Bericht aus dem 
Strassburger Krankenhause in der „Medizinischen Rundschau“ vom 
21. November 1897 an, worin der Berichterstatter angiebt, dass 
innerhalb zweier Jahre nahezu 1000 Kinder, die an Diphtheritis litten, 
mit dem Heilserum behandelt und von diesen nur 19 °/ 0 gestorben 
seien, woraus er den Schluss zieht, dass das Heilserum das hervor 
ragendste Mittel in der Behandlung der Diphtheritis sei. Er ist 
wenigstens so bescheiden, anzuerkennen, dass der günstige Erfolg in 
dem leichten Charakter der Epidemie gelegen habe. Auffallend ist 
es jedoch, dass in einer Stadt, die mehr als zwanzig mal kleiner als 
Berlin ist, in zwei Jahren 1000 Diphtheritiskranke in ein Krankenhaus, 
in welches doch gewöhnlich nur ärmere Leute ihre Kranken schicken, 
eingeliefert sein sollen. Hierbei möchte man wohl die Frage auf 
werfen, wie viel von diesen 1000 Kindern wirklich an Diphtheritis 
gelitten haben und doch mit Serum behandelt sind, da gerade in der 
ersten Zeit die Erkennung der Diphtheritis unsicher ist und leicht mit 
der Mandelentzündung verwechselt wird, sodass selbst der Geh. 
Ob.-Med.-Rat Pistor in Berlin, der seine Verwandte mit Serum be 
handeln liess — woran sie, wie er selbst in einer medizinischen 
Zeitschrift angiebt, ein halbes Jahr schwer gelitten hat — nicht 
wusste, ob wirklich Diphtheritis bei ihr vorhanden war. 
Dieser Fall veranlasst mich, auch darüber noch meine Verwunderung 
auszusprechen, dass man in allen lobpreisenden Artikeln so wenig 
Berichte über die üblen Folgen der Serumanwendung findet. Denn 
in diesem Strassburger Bericht ist nur von zwei Kreislaufstörungen 
Erwähnung gethan und der Berichterstatter sagt, dass ernstere 
Störungen nicht zu konstatieren gewesen seien, wenn auch eine 
Beeinflussung der Nieren durch dasselbe nicht ausgeschlossen wären. 
Wie sollte es nun kommen, dass ich, dessen Privatpraxis sich mit 
der eines so grossen Krankenhauses nicht im entferntesten vergleichen 
kann, unter von mir in derselben Zeit beobachteten zwölf Fällen 
drei habe tötlich, drei mit mehr oder weniger langer Nachkrankheit, 
vier ohne Nachwirkung und zwei geheilt verlaufen sehn, wobei ich 
aber bemerken muss, dass bei diesen beiden letzten Fällen die 
Diagnose gar nicht festgestanden hat und endlich, dass unter diesen 
zwölf Geimpften fünf gar nicht krank waren und nur der Vorsicht 
wegen mit Serum behandelt wurden. Man könnte mir freilich vor 
werfen, dass ich als treuer und überzeugter Anhänger des Naturheil 
verfahrens gegen die ganze Manipulation — denn anders kann man 
das Verfahren nicht bezeichnen — voreingenommen wäre und mit 
verschleierten Augen diese Beobachtungen gemacht hätte, aber wenn 
ich auch dies zugeben wollte, so bleibt doch die Thatsache, dass von 
den fünf aus Vorsicht mit Serum Behandelten ein Kind mehrere male 
dem Tode nahe war und erst nach 15 Monaten wieder die Schule 
besuchen konnte, ein anderes ein halbes Jahr hinfällig w r ar und die 
anderen mehrere Wochen recht elend waren.
	        
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