Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

en Klassen zugeschnitten! Ebenso fast ohne Ausnahme alle 
sonstigen Veranstaltungen, Institute u. s. w., welche unserer Bewegung 
dienen sollen. 
Gerade diese beiden Faktoren sind der beste Beweis dafür, dass 
die arbeitenden Klassen an unserer Bewegung bisher noch nicht stark 
beteiligt oder richtiger: für dieselbe noch nicht gewonnen sind. 
Wären sie das, dann hätten sie ihren Anschauungen in unserer 
Litteratur längst Geltung verschafft. 
Deshalb behaupte ich: Die Naturheilbewegung ist noch keine 
Volksbewegung! — Aber es ist notwendig, um ihrer selbst und um 
des Volkes willen, dass sie eine solche wird! 
Ueber das Mittel nun, wie dieses Ziel zu erreichen, dürften 
Zweifel kaum bestehen: es heisst Agitation. Darüber, wie sich 
diese Agitation zu gestalten hat, dürften die Meinungen schon eher 
auseinandergehen. Auf alle Fälle aber ist es notwendig, dass unsere 
Lehrer das arbeitende Volk aufsuchen, dasselbe mit unseren An 
schauungen speziell über die Sozialhygiene bekannt machen. Zwar 
geschieht das zum Teil schon jetzt, aber es geschieht lange nicht in 
dem Masse, wie es notwendig ist, um einen nachhaltigen Erfolg zu 
verbürgen und vielleicht mitunter auch nicht in der richtigen Art. 
Namentlich berücksichtigen die meisten unserer Redner, wenigstens 
soweit ich dieselben bisher gehört habe, nicht die wirklichen sozialen 
Verhältnisse des Arbeiters. Und ich habe Redner gehört, die in 
unserer Bewegung als die tüchtigsten gelten. 
Ich möchte mir nun gestatten, einen Vorschlag zu machen. 
Der Bundesvorstand müsste leicht verständlich geschriebene Broschüren, 
welche zum Selbstkostenpreise oder gänzlich unentgeltlich abgegeben 
werden, zu Agitationszwecken in Massen hersteilen lassen. Die An 
regung zu diesem Gedanken erhielt ich durch eine kürzlich erschienene 
Schrift*): „Gesundheitspflege für die arbeitenden Klassen“. Der Ver 
fasser steht augenscheinlich auf dem Standpunkt der medizinischen 
Heilweise, weshalb wir nicht alles unterschreiben können, was der 
selbe über Ernährung, Kleidung, Heizung u. s. w. schreibt. In seiner 
Art aber bietet das Buch für den geringen Preis immerhin des Be 
lehrenden nicht wenig. Namentlich aber lässt sich ihm das Zeugnis 
nicht versagen, dass es thatsächlich den Verhältnissen eines grossen 
Teiles der Arbeiter angepasst ist. Ich sage ausdrücklich: eines 
Teiles der Arbeiter; denn die schlechtestgestellten hat 
auch dieser Verfasser noch nicht berücksichtigt, vermutlich, weil er 
trotz des besten Willens noch nicht bis in die tiefsten Schichten des 
Proletariats gedrungen ist oder die Verhältnisse desselben noch nicht 
hinreichend studiert hat. 
Hier bietet sich meiner Ansicht nach unseren Agitatoren noch 
ein reiches und fruchtbares Feld der Thätigkeit. Allerdings erfordert 
dasselbe auch Mühe und Arbeit. Wer eben nicht selbst in solchen 
Verhältnissen gelebt hat, unter denen die grosse Masse der Arbeiter 
zu leben gezwungen ist, der kann sich äusserst schwer einen Begriff 
diesen Verhältnissen machen. Es dürften solche Broschüren 
von 
keineswegs nach dem bekannten Kochbücherrezept geschrieben sein: 
*) „Die Gesundheitspflege für die arbeitenden Klassen. Dr. med. Wilhelm 
Hanauer. Frankfurt a. Main, Verlag von Benno Schmidt. 40 Seiten. Preis 
20 Pfennige.
	        
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