Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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unter dem Original-Bewegungsbegriff „Greifen“. Wenn wir arbeiten, greifen 
die Glieder, und thun das unter den verschiedensten Arbeitsbegriffen, z. B., 
um beim Schreiben zu bleiben, unter den Begriffen: „scharren“, „kratzen“, 
„schütteln“; also wenn wir kratzen wollen, bewegen sich unsere Glieder 
«elbstthätig zum Greifen. Nur dann werden die Muskeln naturrichtig be 
wegt, und können nicht erkranken. Darin liegt auch die Lösung des 
Rätsels, dass es immer eine Anzahl Menschen giebt, welche aus sich selbst 
heraus schön und flott mühelos schreiben; diese lassen in instinktiver Ge 
schicklichkeit die Glieder eben „greifen“ zum Schreiben. Die anders ur 
sprünglich schön Schreibenden werden sehr häufig später krank. Die 
Uebrigen, welche unter dem Begriffe „schreiben“ selbst arbeiten, schreiben 
alle wenigstens schwer, und viele verfallen dem Schreibkrampf, weil sie die 
Glieder bewegen wollen, und deshalb die Muskeln falsch gebrauchen, bis 
dieselben erkranken. Wir dürfen den Begriff „schreiben“ nur in bedingter 
Beziehung zum Begriffe „greifen“ gebrauchen. 
Um den Schreibkrampf zu beseitigen, bezw. um Schreiben zu lernen, 
muss man also die Glieder, welche von der Psyche beeinflusst, bezw. ge 
leitet werden, wieder naturgemäss „greifen“ lehren. Auf die Psyche oder 
Seele, wie der volkstümliche Ausdruck lautet, aber kann man nur einwirken 
durch Worte (Unterricht) oder durch Dressur. Ich habe also gewisser- 
massen der Natur die Befehle (Suggestionen) ablauschen müssen, welche 
erteilt und befolgt werden müssen, bis die Muskelthätigkeit wieder eine 
natürliche geworden ist. 
Das Geheimnis liegt eben lediglich in der richtigen Muskel- und 
Sehnenbewegung, die keine erkünstelte, erzwungene sein darf, sondern 
völlig mühelos und natürlich vor sich gehen muss. Jeder Leidende muss 
deshalb nochmals schreiben lernen, genau so, als hätte ers niemals vorher 
gekonnt. 
Der Kranke, wie der noch nicht Kranke haben somit die gleichen 
Turnübungen mit den Muskeln durchzumachen, nur werden naturgemäss die 
kranken Muskeln und die kranke Seele eben mehr Zeit brauchen. Diese 
Befehle an die Person habe ich als Formeln zusammengestßllt, welche fort 
laufend durchzuüben sind zu immer sich steigernder Gewandtheit der 
Muskeln, bis schliesslich der kürzeste Befehl für das tägliche Leben (es 
sind nur wenige Worte, und dürfen auch nur wenige sein, weil der mensch 
liche Geist nicht wohl zweierlei gleichzeitig zu denken vermag) dem Ge 
dächtnis so scharf einzuprägen ist, w r ie das „Einmaleins“ zum Rechnen lernen. 
Ich gebe der Menschheit mit meiner Methode also gewissermassen das 
Schreib-Einmaleins “, und mache das Schreiben durch dieselbe zu einer rein 
geistigen Thätigkeit. (Die Methode lehrt auch die Metallschreibfeder, ohne 
welche wir nun einmal nicht mehr fertig werden können, erst richtig und 
schadlos zu gebrauchen.) Schliesslich sind nur noch die zu schreibenden 
Worte zu denken, denn der Griff geht zuletzt ganz ins Gefühl über. 
Alle ärztlichen Bemühungen des Schreibkrampfes' Herr zu werden 
durch Elektricität und Massage sind erfolglos geblieben, und natürlicher 
weise, denn so lange der Patient während der Kur nicht zugleich lernt, wie 
er die Muskeln in Zukunft richtig zu gebrauchen hat, wird er naturgemäss 
nach Aufhören der Kur dieselben auch sofort wieder ebenso falsch ge 
brauchen, wie zuvor, und die Erfahrung lehrt, dass dann das Leiden nur 
nöch gesteigert wird. Einer der berühmtesten Aerzte, der vor nicht langer 
Zeit in München verstorbene Professor Ritter v. Nussbaum, beginnt seine 
kleine Broschüre über Schreibkrampf (München, September 1883) mit den 
Worten: „Es giebt wenige Krankheiten, über welche noch ein solches Dunkel 
liegt, wie über dem Schreibkrampf.“ 
Wer nach meiner Methode schreibt, stellt durch den zu erlernenden 
Handgriff, bezw. Armgriff, die schreibenden Glieder im Nu ganz fest und 
maschinell richtig zu einander ein, so dass dieselben eine Art „Schrift- 
Hobelmaschine“ bilden, in welcher beim Schreiben der Halter ebenso wie
	        
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