Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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Die Serumtherapie. 
Dr. med. Fritz Weidner, Bad Homburg v. d. Höhe. 
Die seit alters her bekannte Thatsache, dass Pockenkranke meist vor 
einer zweiten Infektion mit dem Pockengift geschützt sind, hat die Frage 
nach der Ursache und der Weise, wie dieser Schutz wirksam in die Erscheinung 
tritt, entstehen lassen. Ehe diese Frage ventiliert wurde, hat schon jahr 
hundertelang die, auf obengenannter Thatsache beruhende Praxis bestanden, bei 
leichten Pockenepidemieen durch künstliche Infektion bei Gesunden eine leichte 
Pockenerkrankung hervorzubringen, um so einer spätem schwereren, ja vielleicht 
tötlichen Infektion zufälliger Art vorzubeugen. Der erste, welcher System 
in diese Gewohnheit brachte, war Jenner, und der von ihm betretene Weg 
wich nur insofern von dem früheren ab, als er, Jenner, das Pockengift zu 
Zwecken künstlicher Infektion nicht vom pockenkranken Menschen, sondern 
von der pockenkranken Kuh nahm, eine Methode, die heute die fast allein 
herrschende ist, seitdem in staatlichen Lymphbereitungsanstalten eine den 
Bedarf hinreichend deckende Menge von Kälberlymphe erzeugt wird. Aus 
der der einmaligen Pockenerkrankung zukommenden Schutz Wirkung vor einer 
zweiten gleichartigen Krankheit, schloss man nun, dass entweder das Pocken 
gift die Zellen des Körpers in der Art beeinflusse, dass sie bei einer zweiten 
Infektion mit Pockengift, dieses Gift, ehe es zu einem Ausbruch der Krank 
heit kommt, vernichten, oder aber, dass in der Säftemasse des Körpers durch 
das Pockengift ein diesem entgegengesetztes Gift entstünde, welches seiner 
seits das zum zweiten Male infizierende Pockengift vernichte. 
Pasteur hat eine neue Art von Immunisierung angebahnt und bei 
einigen Infektionskrankheiten, z. B. vornehmlich bei der Tollwut, bis zur 
Vollendung durchgeführt. Seine ersten und grundlegenden Versuche be 
antworteten die Frage, ob es nicht zur Erzielung der Immunität, d. h. der 
Vernichtungsfähigkeit des Körpers, infizierenden Bazillen gegenüber, einen 
anderen Weg als die künstliche Infektion des Körpers mit dem Krankheits 
produkt eines bereits kranken Körpers gäbe. Er fand nun folgendes unter 
Zugrundelegung der Thatsache, dass bei Infektionskrankheiten die An 
steckung (Infektion) durch Bazillen hervorgebracht wird : Wenn man einem 
gesunden Tier Bazillen, die in ihrer Virulenz, d. h. ihrer Fähigkeit zu in 
fizieren, bis zu einem Minimum künstlich abgeschwächt worden sind, injiziert 
(einspritzt, z. B. unter die Haut), so kann man die Immunität dieses Tieres, 
seine Widerstandskraft gegen die Krankheit, welcher die betreffenden 
Bazillen zu Grunde liegen, unter Interjektion von Bazillen mit bis zum vollen 
Wert sich steigernder Virulenz, so weit steigern, dass das Tier an der be 
treffenden Krankheit überhaupt nicht mehr erkranken kann. Dieses „Ex 
periment“ ist Pasteur bei der Hühnercholera, dem Milzbrand, dem Schwein 
rotlauf und besonders der Tollwut gelungen. 
Auf Pasteurs Bahnen weiter schreitend, fand Hüppe, dass Mäuse gegen 
Milzbrand immun gemacht werden können nicht nur durch Infektion mit in 
ihrer Virulenz vom Minimum bis zum Maximum sich steigernder Bazillen des 
Milzbrandes, sondern auch durch künstliche Infektion mit einem in der Erde 
vorkommenden, dem Milzbrandbazillus sehr ähnlichen Bazillus; Emmerich er 
zeugte Immunität gegen Milzbrand durch Einspritzung der die Wundrose 
bedingenden Mikrokokken. 
Den nächsten Stein zum Aufbau der Theorie der Serumtherapie 
lieferten Salmon und Smith, indem sie zu Zwecken der Immunisierung statt 
der Bazillen selbst die von diesem gelieferten Umsetzungsprodukte (denn 
jedes Lebewesen liefert durch seine Lebensthätigkeit solche, und ein Ba 
zillus ist ein lebendes Wesen) mit vollem Erfolg injizierten. 
An diesem Punkt der Forschung setzte nun Behring ein und lieferte 
»ach jahrelanger Arbeit das Diphtherieheilserum, welches Gegenstand eines 
Artikels der vorigen Nummer war. Dieser Artikel eben veranlasste mich 
zu dieser kunzen Darlegung des Standpunktes, den die Bakteriologen in
	        
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