Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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Weibchen, dessen Grossvater er hätte sein können, einen Rat erteilte. Auch, 
die „Magd“ darf es wissen, begreift es und findet es natürlich, dass der- 
Grosspapa mehr Erfahrung und Einsicht hat, als das Enkelchen. — 
Zehn Minuten später traf ich eine betagte Erau, die sich wieder 
anders gegen das Kind im Drückwägelchen benahm. Sie fuhr plötzlich mit. 
ihrem Kopfe vor und herab gegen das Gesicht der Kleinen, verdrehte die- 
Augen, machte eine abscheuliche Fratze und brüllte in tiefem, erschrecken 
dem Tone: „Wuh! Wuh!“ So ging das fort, Minute um Minute. 
„Frauchen“, sprach ich und legte so viel Herzlichkeit in den Klang; 
meiner Stimme, als mir möglich war, „warum machen Sie das so ?“ 
Sie blickte erst befremdet auf, da sie aber nur Freundlichkeit und’' 
Teilnahme in meinen Augen las, antwortete sie ebenfalls freundlich: „Sie 
soll lachen“, und fügte dann hinzu: „Lieber Gott! Da muss man mit den 
Kindern Spässe und Possen machen, wenn einem auch gar nicht das Herz 
danach steht. Es ist meinem Schwiegersöhne sein einziges Kind; meine 
Tochter ist im Wochenbette gestorben.“ Und als hätte sie etwas in ihrer 
Pflicht versäumt dadurch, dass sie sich einen Augenblick mit mir unter 
halten, verzog sie schnell wieder das Gesicht, verdrehte die Augen und fuhr 
das Enkelchen mit dumpfer Stimme an: „Wuh! Wuh!“ — Das Kind lachte 
nicht zu den „Spässen“, dazu war es noch viel zu jung; es hatte die Augen 
verständnislos geöffnet; wäre es älter gewesen, hätte den fürchterlichen 
Ton der Stimme und das dämonische Gesicht erkannt, aufgefasst: dann 
hätte es ohne Zweifel geweint und sich gefürchtet. 
Wie es weiter ging, brauche ich nicht zu erzählen, aber den Eltern 
will ich immer und immer wieder zurufen; „Gönnt euren Kindern doch, 
die Ruhe! Lasst sie doch in Frieden!“ 
Zum Kampfe gegen Modegifte und 
Modethorheiten. 
Antipyrin. 
Mit dem 22. Juli ging ein Raubzug auf die Taschen der Bevölkerung zu 
Ende, dem in der Geschichte der Medizin nicht viel ähnliches an die Seite 
gestellt werden kann: das den Höchster Farbwerken unterm 22. Juli 1883 
erteilte Patent auf die Fabrikation von Antipyrin hört auf zu existieren. 
An den Namen Antipyrin knüpft sich für die pharmazeutische Gross 
industrie der Beginn einer neuen Aera unerhörter, klingender Erfolge.. 
Während sich bis zum Anfang der achtziger Jahre die Fabrikation und der 
Vertrieb von Arzneiwaren in vergleichsweise ruhigen und stetigen Bahnen 
bewegte, weil es sich dabei lediglich um die massig lohnende Erzeugung 
von alteingebürgerten Medikamenten handelte, führten die rapiden Fort 
schritte der Chemie in den achtziger Jahren zur Darstellung einer Reihe von 
Körpern, deren erster, von seinem Entdecker, Professor Knorr, mit dem 
wissenschaftlichen Namen „Dimethylphenylpyrazolon“ belegt, wegen der ihm 
innewohnenden Eigenschaft, bei heberhaften Krankheiten die Temperatur 
herabzusetzen, sofort das lebhafte Interesse medizinischer Kreise gewann. 
Die Aerztewelt huldigte damals nämlich dem Wahn, das Fieber sei eine 
Krankheitserscheinung, welche direkt bekämpft werden müsse; und bis dahin 
war dieser Zweck auch durch gewohnheitsmässige Anwendung geeigneter 
Medikamente, vor allem des Chinins, angestrebt worden. Der neuentdeckte, 
seiner heberwidrigen Eigenschaft halber „Antipyrin“ getaufte Stoff stellte 
indessen alle diese Mittel durch die Energie seiner Wirkung derart in den 
Schatten, dass er sich in kurzer Zeit fast zum Alleinherrscher aufschwang- 
Und je mehr seine Anwendung sich verbreitete, umsomehr scheinbar wert.
	        
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