Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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denn auch eine Hauptrolle in dem Kampfe gegen uns. Aber man verschmähte 
auch andere Mittel nicht. Hat doch ein ärztlicher Bezirksverein in Sachsen 
eine arme Arbeiter - Krankenkasse zwingen wollen, plötzlich den doppelten 
Honorarbetrag ihren Kassenärzten zu zahlen. Indessen lässt sich vom sittlichen 
Standpunkte gegen den Versuch einer Lohnerhöhung nicht einmal viel einwenden. 
Anders dagegen liegt die Sache, wenn der Arzt angesichts des sich in seinen 
Schmerzen windenden unglücklichen Kranken kühl bis ans Portemonnaie bleibt 
und erst das Versprechen eines bestimmten, und zwar des höchsten Honorars 
herauspresst, nicht, weil es den Vermögensverhältnissen des Kranken ent 
spricht, sondern nur, weil der Patient es wagt, eine eigene Meinung zu haben. 
Kürzlich ging durch alle Tageszeitungen die Nachricht, dass die Aerzte 
in dem schlesischen Fabrikort Königshütte den jungen, aber kräftig sich ent 
wickelnden Naturheil verein boykottiert hätten und so die Mitglieder zwingen 
wollten, aus dem Verein auszutreten. Der Boykott wurde mit aller Strenge 
durchgeführt und es spielten sich Scenen ab, die unglaublich scheinen und die 
wir Herrn Dr. Springsfeld und seinen Kampfgenossen ebenfalls zur Bericht 
erstattung an den Herrn Minister empfehlen. 
Ein Arzt in Königshütte forderte von einem Mitgliede (Beamter) für 
eine einfache Konsultation 10 Mark und für ein Attest 6 Mark, wenn dasselbe 
ihm nicht darüber Gewissheit verschaffe, dass es aus dem Naturheilverein aus 
geschieden sei. 
Ein zweiter Arzt erklärte einem erkrankten Mitgliede, nur dann die 
Behandlung übernehmen zu wollen, wenn er die ehrenwörtliche Versicherung 
erhalte, dass der Patient aus dem Verein ausscheide. 
Derselbe Arzt erklärte der Frau eines Beamten, der er kürzlich in 
schwerer Entbindung Beistand geleistet hatte, dass er für eine fernere gleiche 
Hilfeleistung 100 Mark fordern werde, wenn ihr Gatte Mitglied des Vereins 
bleibe. 
Zu einem Mitgliede, das sich bei einem sehr schweren Sturze den Ober 
arm ausgerenkt hatte, wurde ein Arzt gerufen. Derselbe fragte, ob Patient 
wisse, dass er die höchste Taxe bezahlen müsse. Der stöhnende Patient bejahte. 
Daraufhin liess der Arzt einen Kollegen rufen, der bei Einleitung der Narkose 
assistieren sollte. Als dieser kam, begann das Feilschen seitens der beiden 
Aerzte aufs neue, so dass der Unglückliche ausrief: „Ich denke, dass ich es 
werde bezahlen können, aber bitte, fangen Sie mit Ihrer Hilfe bald an, denn 
ich leide entsetzliche Schmerzen!“ — 
Dass die Herren den angeführten und einigen weiteren Fällen in in ihrem 
Beeilte sind, soll nicht angezweifelt werden, denn es würde nach dem Wortlaut 
des Gesetzes kein Staatsanwalt die Anklage wegen Erpressung oder Nötigung 
erheben können. Aber es ist eine derartige Handlungsweise vom Standpunkte 
der Moral zu verurteilen und die Herren haben sich mit dem Priester und Leviten 
im Gleichnis vom barmherzigen Samariter identifiziert. Uebrigens ist es interessant 
zu erfahren, dass die Standesehre nach der Höhe des Honorars gewertet wird! 
Der oberschlesische Industriebezirk wird schon in der allernächsten Zeit 
einen approbierten Naturarzt erhalten. Hoffentlich gelingt es, die Existenz 
desselben durch Zeichnung von Beiträgen zu einer gesicherten zu machen. Ein 
Verein ist in solchem Kampfe machtlos, der Anschluss an eine grosse Organi 
sation macht ihn stark. Wir haben die Pflicht, diesem Versuche der ärzt 
lichen Vereine energisch entgegenzutreten, damit sich ähnliches nicht ander 
wärts wiederhole. Sehen die Gegner, dass ihre Bemühungen an der Stärke der 
Organisation scheitern, dann werden sie auch auf solche Mittel der Selbsthilfe 
verzichten. 
Wir jedoch sollen aus. diesen Vorgängen die Lehre ziehen, dass die Ge 
winnung von jungem Aerztematerial zu unsern Hauptaufgaben gehört. Die 
Praktiker werden darum nicht sobald entbehrlich, für sie bleibt noch viel zu 
thun übrig und ihnen werden einsichtige und ehrenhafte approbierte Aerzte 
unserer Richtung ein Schutz sein gegen die Verfolgungen der Feinde.' 
Der Kampf gegen unsere Bewegung hat keineswegs sein Ende erreicht,
	        
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