Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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durch die ungeahnte Entwickelung des Verkehrs, durch Dampf und Elektrizität 
nicht wenig zugenommen hat. 
Ist es denn erforderlich, dass von 100 Männern, die in die Ehe treten, 
80 vorher geschlechtskrank waren, dass von den Abiturienten höherer Schulen 
kaum noch die Hälfte militärdiensttauglich ist, dass der Volkswohlstand jährlich 
bei uns durch Krankheiten um mehr als eine Milliarde geschädigt wird und 
dass 2V2 Milliarden jährlich für geistige Getränke verausgabt werden, wofür 
wir eine solche Summe von Krankheiten und Verbrechen in den Kauf nehmen 
müssen, dass noch immer das Wort Darwins zu Recht besteht, welcher sagte: 
„Durch meine, meines Vaters und Grossvaters Beobachtungen, die weit über 
ein Jahrhundert hinausreichen, bin ich zu der Ueberzeuguilg gekommen, dass 
keine Ursache soviel Leiden, Not und Elend in der Welt anrichtet, wie der 
Genuss alkoholischer Getränke.“ 
Wohin wir blicken, Fehler in der persönlichen Gesundheitspflege und die 
Eltern, die Schule, die Aerzte stehen dabei und möchten sich am liebsten nichts 
wissen machen, nur die Naturheil vereine sind seit Jahren bemüht durch Rat und 
That, Wort und Schrift, Wandel zu schaffen; wahrlich eine Aufgabe, wert des 
Schweisses edler, der Arbeit ernster, des Kampfes idealer Männer und Frauen. 
Doch was wollen wir setzen für das, was wir zu ver 
nichten trachten: für Alkohol: Spiel und Sport, für roh e Genuss 
sucht: Freude und Frohsinn, für Staub und Moder: Luft und 
Licht, für Ueberanstrengung und Trägheit: Massigkeit und 
Regelmässigkeit, das richtige Verhältnis zwischen Uebung 
und Schonung, Arbeit und Erholung für jedermann. 
Die Grundsätze der naturgemässen Lebensweise, die für den gesunden 
Menschen gelten, treten aber auch für den Kranken nicht ausser Kraft, im 
Gegenteil, hier gelten sie unter Berücksichtigung der jeweiligen Verhältnisse 
in erhöhterem Masse. Waren es doch diese Gesichtspunkte, die Krankenhilfe, 
auf denen sich ursprünglich die Naturheilmethode, das alte Priessnitzsche 
Wasserheilverfahren, auf baute. Erst nach und nach erkannte man, dass das 
Heil nicht allein im Heilen, sondern ebensosehr im Verhüten liege, dass beide 
untrennbar mit einander zu verbinden seien. Denn was wir Krankheit nennen, 
ist der Kampf des Körpers gegen die Krankheitsursache. Diese Ursachen 
aber sind Abweichungen von den naturgemässen Lebensbedingungen. Wohl 
ist das Anpassungs- und Abwehrvermögen des Körpers ein ausserordentliches, 
die Breite der zuträglichen Reize ist gross und wir können einen guten Posten 
vertragen, aber alles hat seine Grenzen. 
Die Ursachen zu beseitigen ist das erste Erfordernis einer naturgemässen 
Heilweise. Gegenwärtig gehen die meisten nicht den Ursachen, sondern den 
Folgen zu Leibe. So erschienst der unverständige Kapitän den Sturmvogel, 
der ihm dräuendes Unwetter kündet. Ist denn ein Lungenkranker geheilt, 
wenn er dank Morphium nicht mehr hustet? Ein Schlafloser, wenn er Schlaf 
mittel, ein Verstopfter, wenn er Abführmittel nimmt, ein Rheumatischer, 
wenn er sich mit Salicyl betäubt, ein Unglücklicher, wenn er sich an Alkohol 
berauscht? Mit nichten. Helfen mag es, aber es heilt nicht; denn es beseitigt 
nicht die Ursachen, höchstens die Folgen, oft segensreiche Erscheinungen, und 
verschlimmert das Leiden. 
Nicht schaden, das natürliche Heilbestreben nicht erschweren, nicht 
verzögern oder unmöglich machen, wie es die vielgenannten Nebenwirkungen 
der Arzneien nur zu oft bewirken, das ist der zweite Gesichtspunkt der natür 
lichen Heil weise, deren dritter lautet: Den Körper unter Verhältnisse bringen, 
in denen er den Kampf gegen die Krankheit sieghaft bestehen kann. Die 
Naturheilkraft, die Lebenskraft ist kein leerer Wahn, das zeigen die täglichen 
Heilungen ohne und trotz ärztlichen Zuthun. Nicht ausser uns, sondern in 
uns besitzen wir die kunstvollsten Abwehr- und Anpassungseinrichtungen. Da& 
Heilserum unseres eigenen Blutes ist so gut und billig, dass es von dem der 
Höchster Farbwerke nicht übertroffen werden kann. Nicht bedarf es wechselnder 
Mode-Medikamente chemischer Fabriken, nicht geheimnisvoller Tränke, die dem
	        
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