Volltext: Der Naturarzt 1898 (1898)

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— Zur Zeugnisfähigkeit der „Kurpfuscher“ (siehe Naturarzt No. 2, S. 62), 
■'dürfte eine richtige Darstellung der Sache am Platze sein. — Der in Ulm 
> seit Jahren thätige Vertreter der Naturheilkunde Gr. Wunderlich hatte eine 
Dame in Behandlung, die vor dem Amtsgerichte als Zeugin erscheinen sollte. 
W. stellte ein Zeugnis aus, dass die betreffende Dame an der und der Krank 
heit leide, und das Bett resp. das Zimmer nicht verlassen dürfe. Unter 
schrieben wurde dasselbe: Wunderlich, gepr. Vertreter der Naturheilkunde. — 
Dieses Zeugnis wurde von dem Kgl. Amtsrichter verlesen und anerkannt. 
Dem anwesenden Oberamts-Arzte war dies natürlich nicht recht, er veröffent 
lichte diese Thatsache in med. Zeitschriften, natürlich mit den unvermeidlichen, 
von denAerzten beliebten Titulaturen, und wandte sich auch an den ärztlichen 
Landes-Ausschuss. Dieser machte eine Eingabe an das Justizministerium, 
worin das Verlesen dieses Zeugnisses und die Annahme desselben als voll 
wertige Entschuldigung der Zeugin, im Interesse der Bechtspflege, des 
Publikums und des ärztlichen Standes, für sehr bedenklich erklärt wird, mit 
der Bitte, derartige Atteste von der gerichtlichen Praxis auszuschliessen und 
gegen derartige Uebelstände, sei es durch generelle Dienst-Instruktion, sei es 
von Dienstaufsichtswegen, im konkreten Fall, in geeigneter Weise Abhilfe zu 
schaffen. Das Justizministerium liess sich die Akten von Ulm kommen und 
■ gab den Bescheid, dass es nicht in der Lage sei, diesem Gesuche eine ent 
sprechende Folge zu geben, darüber habe das Gericht nach freiem Ermessen 
zu entscheiden. Die „Aerztliche Bundschau“ Jbemerkt hierzu: Man hätte die 
Beschwerde an das Amtsgericht richten sollen, wobei man sich keiner Zurück 
weisung ausgesetzt und befriedigendere Lösung erlangt hätte. Die Folge wird 
. jetzt sein, dass übelwollende untere Instanzen diesen Einzelfall verallgemeinern 
werden. Für Wunderlich hatte aber die Sache noch ein gerichtliches Nach 
spiel. Der Oberamts-Arzt stellte bei der Staatsanwaltschaft Strafantrag gegen 
W., weil derselbe sich einen arztähnlichen Titel beigelegt habe, indem er sich 
„geprüfter Vertreter der Naturheilkunde“ nennt. W. erhielt hierauf ein Straf 
mandat mit 3 Mark, wogegen er Einspruch erhob, und die Sache kam vor dem 
Schöffengericht zur Verhandlung. Wunderlich erklärte sich für berechtigt zu 
diesem Titel, indem er im Jahre 1890 in Berlin von der vom Bunde der 
Naturheilvereine eingesetzten Prüfungskommission geprüft worden sei, und legte 
das betreffende Prüfungszeugnis vor. Das Wort „Geprüfter“ sei nur der 
merkliche Unterschied von „Nichtgeprüfter“, deren es auch eine Anzahl gebe 
Nirgends nenne sich ein Arzt „geprüfter Arzt“ sondern approbiert. Arzt oder prakt. 
Arzt. Selbst die Bezeichnung „praktischer Vertreter der Naturheilkunde“ sei kein 
ärztlicher Titel, wie die Strafkammer des Kgl. Landgerichts zu Bielefeld in 
seiner Sitzung vom 25. August 1897 ganz richtig entschieden habe. (Das 
freisprechende Urteil im Prozess Schöne - Bielefeld, in No. 33 „Naturärztliches 
Wochenblatt“ 1897, legte W. dem Gerichte vor.) Wunderlich wurde freige 
sprochen. Auch der Staatsanwalt begnügte sich mit diesem Urteile, und der 
Oberamts - Arzt hat gerade das Gegenteil von dem erreicht, was er wollte. 
Welcher Geist gegenwärtig unter den Aerzten herrscht, geht wohl am besten 
aus einem Aufsatz hervor, der in No. 6, S. 94 der „Aerztlichen Bundschau“ 
1898 zu lesen ist. Dort heisst es u. a.: Anlässlich des Todes der Fürstin 
Hohenlohe regen sich in verschiedenen Fachzeitschriften Berliner Aerzte 
darüber auf, dass Prof. Fränkel, der bekannte Laryngolog, es nicht verschmäht 
habe, mit einem Homöopathen ein Konsilium abzuhalten und somit das 
„Ansehen der Wissenschaft zu schädigen.“ Also ein Arzt, der das Vertrauen 
des Fürsten Beichskanzlers hat, der aber Homöopath ist und demnach die 
Allheilwirkung der allopath. Mittel bezweifelt, dieser Arzt soll als „Paria“ 
behandelt werden, ein Verkehr mit ihm schädigt das Ansehen der Wissen 
schaft der ärztlichen Kaste. Nur so weiter, ihr Herren. 
Ulm. 
G. W.
	        
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