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noch einen zweiten, gleichfalls wichtigen, jedoch nicht so mächtigen
Wärmeregulator, die Lungen.
Unsere Haut ist nun derart gebaut, dass die Grundfasern der
Haut — also die von gewissen Empfindungsnerven versorgten Haut
muskelfasern sich in der Kälte zusammenziehen. Jedenfalls besitzen
alle Gewebsnerven dieselbe physikalische Eigenschaft wie die ihnen
zugeteilten Gewebe, Dadurch wird auch die Haut in ihrem Durch
messer dünner, dafür aber um so wärmeundurchlässiger, ein Vor
gang, den wir sichtbar durch die Bildung der sogenannten Gänsehaut
wahrnehmen. Die in der Haut angelegten Muskelfasern verengen
aber auch gleichzeitig durch ihre schräge Anordnung die Blutgefässe
der Haut, und ihre Schwesterfasern, die die grösseren Gefässe um
gebenden Gefässmuskelfasern, nehmen gleichfalls an der Verkürzung
teil, so dass durch diesen Vorgang das Blut aus den Hautgefässen,
bis tief in den Körper hinein verdrängt wird — wir frieren; der
Organismus aber hat dadurch sein wärmetragendes Blut ins Körper
innere gedrängt, um es vor unnötigen Wärmeverlusten zu schützen.
Unser natürliches Hemd ist um diese Zeit trockener und ein
schlechterer Wärmeleiter geworden, als es kaum wenige Minuten
zuvor war.
So schnell sind wir nicht imstande, unser künstliches Hemd zu
wechseln, aber der Organismus kann noch mehr: Hat die äussere
Kälteeinwirkung nur kurze Zeit gedauert, so facht er ein grösseres
inneres Feuer an. Inzwischen hat aber die äussere Kälteeinwirkung
auch die zweite Art des Hautgewebes, die Bindegewebs- (oder die
Füllfasern) beeinflusst. Das Bindegewebe, und besonders das elastische,
verhält sich nämlich umgekehrt gegen Wärme und Kälte ein Wirkung
wie das Muskelgewebe, es wird durch Kälte ausgedehnt, durch
Wärme aber verkürzt. Wenn nun z. B. die Kälte auf das träge Binde
gewebe zu wirken anfängt, erweitern sich die Blutgefässe, deren
Wände auch elastische Bindegewebe besitzen, und das einfache Binde
gewebe der Haut quillt wieder zu seiner früheren Dicke und darüber
an. Die Folge davon ist nun, dass die Blutgefässe und die Haut
saugend wirken und in kurzer Zeit von viel wärmerem Blute strotzen.
Dieses Wechselspiel der schnellen Zusammenziehung der Muskelfasern
und die späte Dehnung der elastischen und Bindegewebsfasern nennt
man den „Widerstreit des Organismus“ oder bildlich: „die Antwort
der Naturheilkraft auf einen feindlichen Angriff“ (Griebel).
In ähnlicher Weise antwortet der Organismus auch auf Wärme,
welche die Haut trifft, jedoch in umgekehrter Richtung, indem die
Wärme die Muskelfasern erschlafft und verlängert, die elastischen
Gewebsfasern und das Bindegewebe aber verkürzt und anspannt.
Dieser Vorgang bei der Wärmeeinwirkung hat nun zur Folge, dass
zunächst, nicht wie bei Kälteeinwirkung eine Zurückstauung des
Blutes nach dem Körperinnern, sondern ein Vorfluten des Blutes in
die von ihren Muskelfasern entspannten Blut- .und Hautgefässe ein-
tritt. Und da das elastische Gewebe und das Bindegewebe sich durch
die Wärme sehr allmählich verkürzen, so tritt erst lange Zeit nach der
Wärmeeinwirkung eine grössere Entblutung der Haut- und Blut
gefässe ein — wir frieren nach einem warmen Bade.
So sehen wir denn, dass die Muskelfasern der Haut die Erst-