Volltext: Der Naturarzt 1896 (1896)

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gegebenen Vorschriften. Tag und Nacht wurden die Fenster weit 
aufgelassen, und ich fing an, die frische Luft recht tief einzuatmen, 
soweit es meine Kräfte gestatteten; Abreibungen wurden vorgenommen; 
die Medizin wurde weggegossen. Alsbald besserte sich mein Zustand 
zusehends. Ich versuchte daher nach einiger Zeit das Bett zu ver 
lassen. Hierbei wurde es mir erst klar, wie elend ich geworden war; 
die Beine versagten ihre Dienste, und ich musste an beiden Seiten 
geführt werden, um mit knapper Not einen Lehnstuhl zu erreichen. 
Langsam musste ich erst wieder laufen lernen; so oft ich konnte, 
beschäftigte ich mich mit Tiefatmungen, Stabkreisen und Atemanhalten. 
Kaum vermochte ich wieder zu marschieren, so streifte ich den ganzen 
Tag auf den Bergen und in den Wäldern umher. Der Husten wurde 
anfangs durch die Kur bedeutend stärker, jedoch der Auswurf viel 
lockerer, und in der kurzen Zeit von vier Wochen war Husten und 
Auswurf vollständig verschwunden. Ich ging daher nach einiger 
Zeit wieder in die Schule, wo sich Alle über mein gutes Aussehen 
wunderten. 
Nachdem ich dann das Abiturienten-Examen bestanden hatte, 
wollte ich nicht sofort studieren, sondern zuvor für einen recht ge 
sunden, widerstandsfähigen Körper sorgen. Das Dienen als Einjähriger 
hielt ich dazu für recht geeignet. Da ich aber, wie ich wusste, noch 
nicht den nötigen Brustumfang hatte, verwandte ich alle Zeit darauf, 
mir denselben durch Gartenarbeiten, Armstrongübungen, Trompeten 
blasen etc. zu erwerben. Dies gelang mir durch meinen Eifer in 
wenigen Wochen. Hierauf stellte ich mich, wurde genommen und 
diente ein Jahr mit der Waffe. Während dieser Zeit war ich keine 
Stunde lang krank, wurde niemals wie einige meiner Kameraden 
schlapp, und schliesslich mit der Qualifikation zum Reserve-Offizier 
entlassen. So hatte ich mich denn davon überzeugt, dass Dr. Nie- 
meyer’s Luftkur mich vollständig wiederhergestellt hatte, und konnte 
ohne Besorgnis mit dem medizinischen Studium auf der Universität 
beginnen. 
Während des fünfjährigen Studiums schaffte ich mir so gründ 
liche Kenntnisse der medizinischen Wissenschaft, wie nur möglich, 
an, so dass ich in sämtlichen Prüfungen die erste Censur erhielt. 
Aber nichts konnte mein einmal erschüttertes Vertrauen an die Heil 
kraft der Arzeneien wiederherstellen. Als ich dann mir eine eigene 
Praxis gründete, verzichtete ich daher bei inneren Leiden auf jede 
Verabreichung von Medikamenten; bei äusserlichen Leiden, wie Wunden, 
Ausschlägen, Geschwüren, versuchte ich e-s anfangs noch mit den von 
Medizinärzten so gepriesenen Mitteln, hatte aber ein paar mal damit 
solchen Misserfolg, dass ich bald voll und ganz Naturarzt wurde. 
Seitdem stelle ich oft Patienten wieder her, welche Medizin und 
Doktor an den Rand des Grabes gebracht haben. Besonders dankbar 
bin ich aber dem Zufall, der mich selbst in meiner Gymnasiastenzeit 
krank werden liess; hierdurch lernte ich kennen, wie es einem Schwer 
kranken zu Mute ist, wie schädlich die Arzeneien wirken, und wie 
leicht oft als unheilbar hingestellte Krankheiten, wie Lungenleiden, 
zu beseitigen sind. Nur einen Wunsch hätte ich noch bei meiner 
Thätigkeit, nämlich den, dass alle Patienten ihre naturgemässen Kur 
vorschriften ebenso streng und eifrig befolgen möchten, wie ich 
es that.
	        
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