Volltext: Der Naturarzt 1896 (1896)

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Der junge Thomas ist davon das sprechendste Beispiel, was die Kunst der 
Menschen mit der Hilfe der Natur für leere, pedantische Dummköpfe im 
Stande ist, auszubilden. 
Wir hatten bisher auf der Bühne verspottete Aerzte als Aerzte ge 
sehen. Jetzt stellt uns Moliere einen jungen, neugebackenen Doktor als 
Privatmenschen dar und dazu als Dreier. Leset nur die pedante, schwülstige 
Ansprache, mit welcher er Angelique begrüsst. 
„Mein Präulein! Nicht mehr, noch weniger, als die Statue des Memnon 
einen harmonischen Laut ertönen liess, wenn sie von den Strahlen der auf 
gehenden Sonne berührt war, so fühle ich mich von einer angenehmen 
Kegung entzückt, wenn die Sonne Eurer Schönheit mir aufgeht u u. s. w. 
Charakteristisch ist die Szene, wo Diafoirus Vater von der Erziehung 
spricht, die das Söhnchen genossen hat (II, 6). Zwar hatte das Kind keine 
grossen Anlagen zum Studieren, und im neunten Jahre kannte er noch keinen 
Buchstaben. Pleiss und Beharrlichkeit aber haben dem Mangel an Geschick 
nachgeholfen. 
„Er ist firm im Disputieren, stark wie ein Türke in seinen Prinzipien, 
geht nie von seinen Behauptungen ab. ... Was mir aber vor allem an 
ihm gefällt, und worin er meinem Beispiele folgt, das ist, dass er blindlings 
an den Ansichten unserer Alten festhält, und dass er von den modernen 
Experimenten, welche den Umlauf des Blutes und andere Schwindeleien von 
gleichem Schlage beweisen sollen, nie das mindeste hat wissen, oder nur 
darauf hören wollen.“ 
Harvey hatte bekanntlich im Jahre 1619 den Umlauf des Blutes be 
wiesen und es wurde zur Zeit Molieres immer noch darüber debattiert. 
1673 stiftete Ludwig XIV. einen Lehrstuhl für die Verbreitung der neuen 
Entdeckungen und das Lustspiel Molieres trug auch dazu bei, den Gegnern 
der neuen Theorie eine Niederlage zu bringen. 
Ein rechter Gegensatz zu dem eingebildeten Kranken ist sein Bruder 
Beralde, der Typus der sogenannten Kaisonneurs, durch welche Moliere sich 
selbst in seinen Lustspielen aussprach. Beralde ist ein erklärter Feind der 
Medizin, welche er in Bausch und Bogen verwirft; und da er eigentlich der 
Dolmetsch Molieres selbst auf der Bühne war, so ist die Szene 3 des 3. Aktes 
zwischen beiden Brüdern höchst wichtig und interessant. Ich verweise die 
Leser auf diese Szene, welche der „Naturarzt“ ja einst gebracht hat. 
Die Medizin hält Beralde für eine der grössten Thorheiten, welche die 
Menschen sich ausgedacht haben. Er schlägt dem Bruder vor, er solle einmal der 
Aufführung eines Lustspieles Molieres beiwohnen. Natürlich fährt x4rgan in die 
Höhe bei dem blossen Namen des grössten Aerztefeindes; und so fängt 
zwischen den zwei Brüdern ein lebhaftes Gespräch an, in welchem Argan im 
Namen der Medizin den Dichter angreift und Beralde ihn verteidigt und zu 
rechtfertigen versucht. 
Nie hat sich Moliere über Medizin und die Aerzte seiner Zeit so klar und 
so ausführlich ausgesprochen, als in dieser Szene, wo er seinem Aergernis und 
seinem Zorn, freilich einem nicht immer gerechten Zorn, einmal gründlich 
Luft macht. 
Das Gespräch der beiden Brüder wird plötzlich gestört. Herr Fleurant, 
der Apotheker, kommt zu Argau mit einer Spritze und als Scharfrichter des 
Dr. Purgon will er unter allen Umständen sein Amt thun. Natürlich erklärt 
sich Beralde dagegen. Er macht sich über den zornigen Apotheker lustig, 
man merke, er sei nicht gewöhnt, mit Gesichtern zu sprechen, und der Apo 
theker eilt zum Dr. Purgon. Der Doktor erfährt, Argan habe sich geweigert, 
das Dingelchen zu nehmen: er kommt, den widerspenstigen Kranken zu ver 
fluchen. Sein Klystier verachten. . . . 
„Mein Bruder ist daran schuld,“ jammert Argan. 
„Ich stand im Begriff, Euren Körper gerade jetzt zu reinigen.“ und hatte 
höchstens noch ein Dutzend Medizinen zugedacht, um rein Haus zu machen.“ 
Nun gut; der Arzt zieht die Hand von dem Kranken ab.
	        
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