Volltext: Der Naturarzt 1896 (1896)

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punkt als neugebackener Dr. med. klar zu legen und Zweifeln über 
meine Richtung und meine Bestrebungen zu begegnen. Möchten 
meine Ausführungen freundliche Aufnahme finden! 
Zum besseren Verständnis meiner äusseren Thätigkeit gestatte 
man mir etwas von meiner inneren Entwickelung mitzuteilen. Als 
ich im Jahre 1885 das „Volkswohl“ in Frankfurt a. M. begründete, 
da erfüllte mich grosse Begeisterung für die vegetarische Lebens 
reform. Durch Belehrung über Ernährung, Erziehung, Heilkunde 
hoffte ich mein gut Teil zur Veredelung und gesundheitlichen Ver 
besserung meiner Mitmenschen beizutragen: durch billigen Preis, an 
regende Form sollte sich das Blatt -das „Volk“ erobern und eine 
Zufluchtsstätte für alle reinen und natürlichen Bestrebungen meiner 
Zeit werden. Ich arbeitete unermüdlich, begeisterte Freunde erhielten 
meinen Mut, rege Mitarbeiter, darunter der jetzt so vielgenannte 
Dr. Lahmann, der in meinem „ärztlichen Briefkasten“ seine jugend 
lichen Schwingen regte, standen mir zur Seite. Es war zu schön 
gedacht und gewollt — es musste ja gelingen! Zwar gab es 
fast noch keine ähnlichen Unternehmungen, aber — es gab auch noch 
keine Drucker, welche sich in eine so „gewagte“ Richtung auf eigene 
Gefahr und Kosten einlassen wollten, und was war daher das Ende 
der Geschichte? — dass ich nach empfindlichem Kapitalverlust und 
5 / 4 jähriger schwerer Arbeit die schöne Idee und ihre Verwirklichung 
begraben musste. Mein Eifer war nun zwar für einige Zeit gemildert, 
aber mein Mut keineswegs gebrochen. Ich war eben nicht bloss 
vegetarische Schwärmerin! Ich hatte viel gelernt in dieser „Volks 
wohlzeit“ und unbewusst den Grundstein zu meiner späteren ärzt 
lichen Thätigkeit gelegt. — Bald darauf gab ich einige Brochüren 
heraus, und als mir nach einem meiner Vorträge in einer grossen 
deutschen Stadt die Frage gestellt wurde: „Sie sind doch Natur-, 
ärztin?“ — da schlug das eine Wort mächtig in mich ein. Unauf 
hörlich stand von da an die Frage vor meiner Seele: „warum bist 
du denn eigentlich nicht voll und ganz Aerztin?“ — Ja, warum?! 
Beide Grossväter, Vater, Onkel, Vettern, ja selbst der Schwiegervater 
waren Aerzte — Hygieine steckte mir unheilbar im Blute! An 
Fröschen, Hühnern und anderem Hausgetiere, das ich aufzog und 
pflegte, that sich dies schon als Kind kund. Mit 16 Jahren veröffent 
lichte ich meinen ersten Zeitungsartikel gegen den Schnürleib, dann 
studierte ich in hellem Eifer den „gesunden und kranken Menschen“ 
von Dr. Bock, machte Kaltwasseranwendungen an mir selbst und im 
24. Jahre erbaute ich auf meinem ehemaligen Bauerngütchen für 
meine Kühe und Schweine ein so prächtiges Stallgebäude, dass die 
Bauern ob solcher Verschwendung an Raum, Licht und Luft für das 
„dumme Vieh“ aus dem Kopfschütteln nicht herauskamen. Das sind 
einige Heldenstücklein aus meiner Jugendzeit! Und wenn ich nicht 
schon früher aus innerem Drange nach dem medizinischen Studium 
griff, so war es, weil ich langer Reife bedurfte, ferner weil meine 
Kinder erst ein gewisses Alter erreichen mussten. Meine Stützen, 
meine Gehilfen mussten sie werden, Verständnis für meine Aufgabe 
musste auch sie erfüllen, nur dann konnte das Werk gelingen. Und 
so kam es auch! Geteilt zwischen innigem Familienleben und eifrigen 
Studien vergingen die 6 Jahre. Vielleicht denkt sich jetzt mancher 
Leser mit leisem Schrecken: „wie alt mag die Frau dann wohl sein?!
	        
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