Volltext: Der Naturarzt 1896 (1896)

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der Menschenwürde, im Interesse des Staates, im Interesse der 
Menschheitsexistenz — darum wollen wir auf dieses Werk ganz be 
sonders stolz sein. Obzwar man bis jetzt an massgebender Stelle 
davon nichts wissen wollte, so hat es doch bereits hervorragende 
Männer gegeben, die Objektivität und kritischen Tiefblick genügend 
besassen, solches einzusehen und offen auszusprechen. Lesen Sie, was 
der als Philosoph geschätzte Eduard von Hartmann in seinem neuesten 
Werke: „Die sozialen Kernfragen“ über diese Thätigkeit der deutschen 
Naturheilbewegung sagt. 
Einen grossen taktischen Fehler begehen fast alle Neubekehrten 
unserer Richtung insofern, als sie in unvornehmer, leidenschaftlicher 
Weise über die Gegner herfallen und sie in Worten förmlich — 
massakrieren. Ich weiss sehr wohl, in welch verachtungswürdiger 
Weise man gegen uns kämpft. Wenn die geistigen Waffen zu stumpf 
erscheinen, greift man zur Vergewaltigung und zu Rücksichtslosig 
keiten, die schon manchen Edlen geistig und wirtschaftlich ruiniert 
haben. Aber, verehrte Kampfgenossen, lernen wir diese Kampfes 
weise unseren Gegnern nicht ab. Verletzen wir nicht gar zu sehr 
die Form. So persönlich sie werden, so sachlich bleiben wir — unser 
ist ja doch die Zukunft! 
Es thut auch nicht gut, den Leuten unser Heilverfahren als 
Wunderkur anzupreisen. Vorläufig befindet sich unsere Methode immer 
noch im Entwickelungsstadium, und über viele Vorgänge sind wir 
noch lange nicht genügend aufgeklärt. Und da mindestens ebensoviel 
wie auf die Methode auch auf die Menschen selbst ankommt, diese 
aber durchaus noch sehr viel zu wünschen übrig lassen — so muss 
das Versprechen von goldenen Bergen notwendig Enttäuschung zur 
Folge haben. A.ber dies Hinausschiessen über das Ziel ist entschuldbar 
und nur zu leicht erklärlich. Nicht, dass man wider besseres Wissen 
redete — nein, die Schützen sind samt und sonders Menschen, die 
die Ohnmacht der anderen Heilmethoden jahrelang bitter empfinden 
mussten, ja, die vielleicht von der Wissenschaft sogar auf gegeben 
waren. Durch unser Heilverfahren sind sie wieder gesund und lebens 
freudig geworden — so treibt sie denn die Dankbarkeit an zum Reden 
in Zungen: dabei geht das Herz mit ihnen durch. 
Ist es nicht ein Eigenes, wenn man sich unsere Bewegung ein 
mal näher ansieht? Laien, Kranke erglühen in reinstem Idealismus, 
m heiligstem Feuer und treten als Apostel auf für eine grosse ver 
kannte Sache, um alles Krumme gerade, um alles Unebene eben zu 
machen und der Welt, das Heil zu bereiten nach aller Zukunft hin. 
Dieses Einstehen fürs Ganze, dieser Altruismus leiht ihnen Schwingen, 
dass sie sich hoch erheben über den Geist der Schwere, der auf 
unserer nüchternen, klügelnden, gewinnsüchtigen Zeit verderblich lastet. 
Aber auch wir sind als Menschen noch allzu menschlich. Welchen 
yäre darum noch nicht die grosse Müdigkeit angekommen, dass er 
m stillster Stunde zu seinem Herzen gesagt hätte: „Es ist doch alles 
umsonst!“ Auch mir sind diese Zweifel und Versuchungen nicht er 
spart geblieben. Im vorigen Jahre war’s: Ich hatte seit Wochen 
Viel Aussergewöhnliches gesehen und erlebt. Nun rastete ich mutter 
seelenallein in der Lavahütte am Aschenkegel das Vesuvs. Da über 
fiel mich der Geist der Resignation, und mir klang des Wort Goethe’s 
an Herder durch die Seele: „Je mehr ich die Welt kennen lerne,
	        
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