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In der Sektion für Balneologie hielt Herr kaiserlicher Bat Dr. Schreiber
einen Vortrag über die Heilung chronischer Obstipationen und Verdauungs
störungen mit Massage und Heilgymnastik. Unter Hunderten von Patienten
hat JDr. Schreiber seit Jahren nur ein Mal keine Heilung erzielt.
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In derselben Sektion sprach Dr. Maximilian Roth über „moderne
Mechano-Therapie und das Zandersche Heilverfahren“. Dr. Roth erläuterte
die streng wissenschaftliche Grundlage, auf welcher das Zander’sche System
aufgebaut ist, besprach die Krankheiten, bei welchen dieses Verfahren an
gezeigt ist, und wies auf die Notwendigkeit der Errichtung von Zander-
Anstalten in Bädern und Kurorten hin.
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Auf eine interessante physiologische Thatsache wies Professor Grützner
(Tübingen), hin: Die von ihm beobachtete Erscheinung der sogenannten
physiologischen Antiperistaltik. Die Versuche ergaben nämlich die That
sache, daß der Darmkanal nicht nur auf dem Wege vom Munde zum Darm,
sondern anch auf umgekehrtem Wege verdaut. Nährstofflösungen, die in
den Darm gebracht wurden, erschienen einige Zeit später in verdautem
Zustande im Magen.
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Dr. Ernst Ereund (Wien) spricht über den Einfluß von Krankheits
zuständen auf die Nahrungsmittel ohne lokale Erkrankung des Darmes. Er
hat gefunden, dass namentlich bei der Tuberkulose die Ausnützung der
Nahrungsmittel eine sehr unvollständige sei.
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Der Chemiker Dr. Adolph Jolles (Wien) hielt einen Vortrag über
„Erfahrungen über den Wert der meist gebrauchten Proben für den Nach
weis von Zucker im Harne“. So leicht es ist, Traubenzucker dann mit
Sicherheit nachzuweisen, wenn er in erheblichen Mengen vorhanden ist, so
schwierig gestaltet sich unter Umständen der Nachweis, wenn es sich darum
handelt, mit vollkommener Gewißheit die Anwesenheit sehr geringer Mengen
von Zucker im Harne zu konstatiren. Die verbreitesten Zuckerproben, die
sogenannten Reduktionsproben, haben alle den Nachtheil, daß sie Zucker
mengen bis zu 0,4, auch 0,5 Percent Vortäuschen können, da normale und
pathologische Harnbestandteile in gewissen Quantitäten ähnliche Erschei
nungen zeigen, wie Traubenzucker.
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Dr. Schlichter aus Wien erklärte in der Sektion für Kinderheilkunde
die derzeitigen Desinfektionsmaßregeln bei Diphtherie für unnütz. Der
Vortragende hatte Gelegenheit, die Wirkung der Desinfektion nach Diph
theritis anläßlich einer durch mehrere Jahre sich hinziehenden Endemie von
Säuglingsdiphtheritis zu studiren. Wo es irgend möglich war, wurde nach
Auftreten von Diphtheritis das Zimmer vollständig geleert; alle Ammen und
Kinder entlassen; die Wäsche der Erkrankten vernichtet, die der Anderen
im Dampf sterilisir-Apparate desinfiziert; die Wände mit Brot ab gerieben, mit
funfprozentigem Karbolwasser abgewaschen, dann abgekratzt und mit
Karbolkalk frisch getüncht; die Dielen, Fenster kreuze und Rahmen,
die Thüren mit Karbollösung gewaschen und das so desinfizierte
Zimmer durch mehrere Stunden geschwefelt. Es zeigte sich nun, daß in
Zimmern, die so gründlich desinfizirt wurden, oft einige Wochen nach der
Desinfektion schon wieder Fälle von Diphtheritis auftraten, während in
manchen Zimmern, wo aus administrativen Gründen eine Desinfektion un
möglich war, oft ein Jahr bis zum neuerlichen Auftreten der Diphtherie
verstrich. Hält man sich einerseits die so gründlich durchgeführte Desin
fektion, andererseits das von anderortigem Ansteckungsverdachte vollkommen
freie Kindermaterial vor Augen, so muß man angesichts des Wiederauf