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An nachstehendem kurzen Zwiegespräch wird der geehrte Leser
die hier aufgestellten Behauptungen bestätigt finden. „Herr Vorstand
geben Sie mir einen neuen Schein, ich will zu einem anderen Arzt gehen.“
— „Warum dies?“ — „Ja, es ist mir nicht möglich, alle die mir vorge
schriebenen Bäder, Packungen, kalte Abreibungen usw. usw. auszuführen.
Ich habe niemanden, der mir das macht; in meiner Kammer ist es jetzt im
Winter kalt, meine Wirtin kann oder will mir dies nicht alles besorgen,
Tücher, Decken und dergleichen kann ich mir nicht anschaffen, dazu habe
ich nicht das nötige Geld. Ich habe es ja versucht, aber mir ist dabei nicht
besser, sondern ich bin eher kränker geworden,“ — „Nun dann müssen Sie
sich jemanden kommen lassen, der Ihnen die Sache richtig macht.“
— „Das geht auch nicht, erstens kostet mich die Sache, da ich Kranken
geld nicht beziehe, zu viel Geld, und dann hat meine Schlafstelle auch
keinen Ofen, was aber die Hauptsache ist: um dies alles durchzuführen,
was auf diesem langen Zettel steht, den ich in Porm eines Receptes er
halten habe, hätte ich ja von früh bis Abends zu thun, und ich könnte
dabei gar nichts machen. Das will ich aber nicht, denn sonst büße ich
meine Arbeit ein, und was das bei der jetzigen Arbeitslosigkeit bedeutet,
wissen Sie ja selbst.“
Unter diesen Umständen sieht sich der Kassen Vorstand veranlaßt,
ihm einen anderen Kurschein auszustellen, mit dem der Patient nun zu
einem anderen Arzte geht. — Ja, aber wo bleibt dabei die Kasse? Sie be
zahlt für diese 14 Tage für Konsultationen, vielleicht auch Bäder und
Massagen 10—12 Mk. und die Kur geht wieder von neuem an. Wir haben
angedeutet, es ist etwas kostspielig. Mancher wird darüber den Kopf
schütteln, wird sagen, man hat ja keine Ausgaben für die Apotheke zu
machen, was bei einem Mediziner der Pall ist. Das ist ja richtig. Die
Kassen Vorstände bezw. Kassierer wissen das aber besser. Viele derselben
haben gerade bei den letzten Vierteljahrsrechnungen die Köpfe auch ge
schüttelt, wenn sie für erwerbsfähig Kranke oder deren Kinder, die fast
täglich von Konsultationen Gebrauch gemacht hatten, für kurze und nicht
schwere Krankheiten Beträge zu zahlen hatten, bei denen eine Kasse auf
die Dauer kaum bestehen kann. Und wie gesagt, dazu kommen in sehr
vielen Pällen nachträglich auch noch Rechnungen für Bäder, Massage und
andere Anwendungen. Daß die Methode namentlich für erwerbsfähige
Kranke auch zu •'Zeitraubend ist, ist oben schon nachgewiesen worden.
Immer und immer hört man von den Kranken, man muß 3—4 Stunden
warten und der halbe Tag ist verloren.
Aus alledem geht aber hervor, daß die Herren, welche die Naturheil
methode anwenden, in Zukunft etwas mehr Rücksicht auf die finanziellen
Verhältnisse der Krankenkassen und deren Mitglieder nehmen müssen,
wenn sie ihre Heilmethode bei diesen schon aus finanziellen Gründen nicht
in Mißkredit bringen wollen. Es ist ja richtig, jeder Mensch will leben und
muß verdienen, und die Kassen wollen ihren Mitgliedern, so weit sie von
der Richtigkeit und Nützlichkeit der Naturheilmethode überzeugt sind,
keineswegs ihre Rechte verkürzen, soweit es das Gesetz überhaupt gestattet.
Aber wir haben auch die Meinung, daß dasselbe ebensogut erreicht wird,
wenn dieselben 1, 2 oder 5 Mal die Woche beraten werden, als wenn dies
4, 5 oder 6 Mal geschieht, wodurch die Kosten bei den Kassen nur ver
doppelt werden.
Im großen Ganzen halten wir also ebenfalls die Naturheilmethode für
gut, nur gehört zur Durchführung derselben seitens der Patienten eine ge
wisse Energie, ein Verständnis, eine Ausdauer (Anm. d. Red.: Sehr richtig;
deshalb aber ist es Pflicht eines jeden, in Naturheilvereinen sich dies an
zueignen);; aber auch die passenden Wohnungsverhältnisse, wie man sie
leider heutzutage noch bei so Vielen nicht voraussetzen kann. Die wirklich
praktische Durchführung für das große Publikum halten wir nur dann für