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der Schulmedizin. Mit einem Worte: die meisten Menschen glauben noch
nicht an die Naturheilmethode, weil sie nicht von den Akademien gravi
tätisch zu ihnen herabschreitet, sondern von unten aus dem Volke her
aufkommt. Was für uns wirkt, sind fast niemals theoretische Betrach
tungen, sondern immer nur unsere Erfolge, und —- die Misserfolge
anderer. Meist rekrutieren sich die Anhänger der arzneilosen Heil
kunde aus denen, die am eigenen Körper oder an den Leibern
ihrer Angehörigen den Segen physiatrischer Behandlung kennen
gelernt haben. Die Schwierigkeiten, mit denen wir uns den
Boden Schritt für Schritt erobern müssen, habe gerade ich in Leipzig
genügend studiert und lerne es noch Tag für Tag, wie ich in den Augen
der Aerzte ein Paria geworden bin: So hatte ein früherer intimer Freund
von mir, ein Studiengenosse, mit dem ich einst jahrelang auf Du und Du
gestanden, für den in seinen Augen zum Naturarzt herabgesunkenen
Charlatan nur noch ein sehr kühles „Sie“ übrig, als ich ihn hier wieder
begrüsseit wollte. Das hätte ich allerdings als Anhänger unseres Heil
verfahrens wissen müssen, dass jeder, der sich von der Apotheke eman
zipiert, in den Augen der strenggläubigen Allopathie ein Dummkopf ist.
Nirgends ist unser Ringen härter, wie in Universitätsstädten, wo die
offizielle Heilkunst die Sessel der Akademiker inne hat und mit
überlegenem Standesbewusstsein auf alles herabsieht, was anders denkt.
Hat man doch auch einen sehr tüchtigen Homöopathen, Herrn Dr. H r
gleich mir den Weg aus dem Bezirks verein gewiesen, weil er sich erlaubte,
über Quecksilberkuren eine eigne abweichende Ansicht zu haben, und in
einem bestimmten Fall darin „so etwas wie Vergiftung“ sah. Natürlich
versteht davon nach der Meinung der anderen ein Homöopath ebenso
wenig, wie unser einer. Wir dagegen haben wieder die Ansicht, dass
ein Professor der Allopathie über die Homöopathie ebenso wenig urteilen
kann, wie über die Naturheilmethode aus dem sehr einfachen und gewiss
stichhaltigen Grunde, weil er beides nicht kennt, sondern aus Princip
verkennt. Leider aber beherrscht heutzutage noch die Schulmedizin, die
der Staat heute noch mit vielen Vorrechten umgiebt, die Menge. Dazu ver-
schliesst der persönliche Verkehr dieser Herren mit den besseren Kreisen der
Gesellschaft diese, wenigstens in Universitätsstädten, uns fast vollständig.
Das kann ich so recht in den öffentlichen Vorträgen beobachten, die ich hier
und anderwärts gehalten. Wie ganz anders war beispielsweise die Physio
gnomie der anwesenden Versammlung in Dresden und Chemuitz wie hier
in Leipzig, der Universitätsstadt, die in allem Fortschritt den übrigen
vorauseilen sollte und es doch nicht thut. Wie oft passiert es nicht, dass
wir Scherze und Witzchen über unser Verfahren von sonst klugen und
vorurteilslosen Leuten ergehen lassen müssen, die eben nur durch voll
ständige Unkenntnis der Verhältnisse erklärt werden können.
f* ■ Und doch bin ich felsenfest davon überzeugt, dass unsere Bewegung
trotz Büchner, dem Manne von Kraft und Stoff, unter dem Zeichen glück-
verheissender Sterne steht, dass die Naturheilmethode wohl eine Rückkehr
zur Natur, dem unversiegbaren Born aller Wahrheit, niemals aber einen
Rückschritt bedeutet, dass wir siegen werden. Was ist nicht in den letzten
Jahren alles Grosses in unserer Sache geschehen: Hinauf bis zu den
Thronen regierender Herren strahlt das neue Licht jenes Gestirns, das
einst über dem Gräfenberge aufging, und es giebt keine Gesellschafts
klasse mehr, in der die Naturheilmethode nicht Heimatsrecht ausübe.
.In Millwaukee will man jetzt eine Naturheilanstalt für 2 Millionen