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Wir sahen an den Muskeln, wie regelmässige Thätigkeit sie
kräftigt, Unthätigkeit sie Verkümmern lässt. Setzt man beim Essen
die Kaumuskeln kräftig in Bewegung, so steigert sich die Blutzufuhr.
Das kommt den Kaumuskeln, Kieferknochen und Zähnen gleichmässig
zu gut. Die letzteren werden fest und widerstandsfähig. Sie sind
zum Kauen, zu harter Arbeit geschaffen. Leider isst man jetzt fast
durchweg nur Brot von feinem Meid. Selbst auf dem Lande zieht
man das „ Bäckerbrot £> dem selbstgebackenen Brot von grobem Mehl
vor. Pumpernickel, Kommissbrot, grobes Landbrot muss man langsam
und kräftig kauen. Das macht die Zähne fest und verhindert das
Ansetzen von Unreinigkeiten. Man sollte deshalb die Speisen nicht
zu oft in Form von Brei gemessen, und wenn man Brei isst, stets
Brot dazu kauen. Kinder sollen die Brotrinden nicht liegen lassen,
Brot, Semmel und Kuchen nicht im Kaffee aufweichen, Fleisch nicht
wieder herausbringen, wenn es noch ein wenig fest ist, Gries, Graupen,
Reis, Linsen, Hirse nicht ganz, Kartoffeln, Hüben, Salat, Obst nicht in
Stücken hinunterschlingen, Obst öfter roh als gekocht essen. Wer
beim Mittagessen stets etwas altbackenes Brot zubeisst, wird sich an
langsames Kauen gewöhnen. Frische Backware lässt sich nicht völlig
zerkauen; sie klumpt; es gelangen iipmer unzerkaute Stücke davon
in den Magen. In Städten und zum Teil auch auf den Dörfern isst
man fast durchweg morgens frischbackene Semmel. Das ist keine
gute Sitte. Ein Teller Suppe, ein Schnittchen Schwarzbrot und rohes
Obst ist eine viel bessere Kinderkost zum Frühstück. Selbstredend
bekommt sie auch Erwachsenen gut. Wer es irgend haben kann, esse
früh ein Stückchen roher Mohrrübe; das hält die Zähne blank, und
der süsse Saft ist das empfehlenswerteste Mittel gegen Eingeweide
würmer. Unsere Kinder werden um so seltener an YerdauungsStörungen
leiden, je mehr sie gehalten werden, grobe Nahrung zu essen und
sie gut zu kauen.
Giesst man heisse,s Wasser in ein kaltes Glas oder umgekehrt,
so springt das Glas. Der Zahnschmelz ist einö tote Masse, ähnlich
wie Glas. Isst man heiss und trinkt dazwischen kalt, so entstehen
Hisse und Lücken im Schmelz. Beim Auf heissen von Nüssen, beim
Abbeissen von Garn, werden Teilchen des Schmelzes abgesprengt.
Wo der Schmelz sehr dünn ist, wie in tiefen Kaufurchen, oder dort,
wo das Zahnfleisch beginnt, nutzt er sich leicht ab. An solchen
Stellen ist das Zahnbein ohne Schutz und wird von Säuren angegriffen.
Man fühlt dann schon beim Essen saurer Gurken oder säuer
lichen Obstes, dass die Zähne „stumpf“ werden. Die Säure des
frischen Obstes wirkt aber keineswegs schädlich auf die Zähne; der
Speichel wäscht sie sofort wieder rein. Anders, wenn das Gebiss
dauernd mit Säuren in Berührung bleibt. Werden die Zähne nicht
gründlich gesäubert, so bildet sich zwischen ihnen und am Zahnfleische
ein schmieriger, ekelhaft riechender Belag. Er besteht aus Schleim,
abgestorbenen Schleimhautzellen und Speiseresten. Diese Masse
gährt in der feuchten Wärme des Mundes und wird sauer. Findet
die so entstehende Säure Risse, Sprünge, freie Stellen, wo sie aufs
Zahnbein dringen kann, so verbindet sie sich begierig mit dem Kalk
desselben. Das Zahnbein erweicht, fault, zerfällt; es entsteht Zalin-
frass (Caries). Der Belag reizt, ätzt auch das Zahnfleisch. Es entzündet
sich, wird locker, blutet leicht und kann sogar in Eiterung übergeben.