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wird sich vielfach aufs Turnen beschränken müssen Doch findet er bei
gutem Willen wenigstens . Sonntags Gelegenheit, mit Kind und Kegel ins
Freie zu wandern. Nur setze er sich nicht in den Biergarten und zum
Skat, sondern laufe und spiele mit den Seinen. Auch während der Woche
sollte man das Turnen und Spielen nicht verabsäumen. Wer es irgend kann,
thue es in Gesellschaft. Selbst ältere Herren finden in den „Herrenriegen“*
der Turnvereine gute Kameraden. Das Turnen sollte möglichst nur im
Freien stattfinden und die Turnhallen nur im Notfälle benützt werden,
sonst geht der Vorteil des Tiefatmens in frischer Luft verloren. Das
Zimmerturnen wird leicht einseitig und regt Geist und Gemüt nicht an.
Leider sind Jugend- und Volksspiele in Deutschland noch nicht zur Volks
sitte geworden. Insbesondere haben Mädchen und Frauen noch zu wenig
Gelegenheit zum Spielen und Turnen. Und gerade sie bedürfens am
nötigsten. Sie sollten mit Männern und Knaben um die Wette laufen^
turnen, spielen, schwimmen und radfahren. Das müsste ein Geschlecht
geben!
Wer sich aufs Zimmerturnen beschränken muss, suche wenigsten»
in Gesellschaft mit Frau und Kindern täglich 10—15 Minuten ru
turnen. Die „Aerztliche Zimmergymnastik“ von Schreber, sowie dm
„Hausgymastik für Gesunde und Kranke“ von Dr. Angerstein und Eckler
bieten reichen Stoff dazu. Es sind besonders solche Uebungen zu bevor
zugen, die die Brust- und Bauchmuskulatur in Anspruch nehmen. Die
Beinmuskeln werden im allgemeinen durch das Gehen, selbst schon durch
das Stehen, genügend in Thätigkeit gesetzt. Man turnt bei offenem Fenster,,
nie unmittelbar, sondern frühestens zwei Stunden nach dem Essen, ent
ledigt sich dabei aller beengenden Kleidungsstücke (Hosenträger, Riemen,
Bänder). Die Uebungen werden stets so ausgeführt, dass nach einander
Arme, Rumpf und Beine in Bewegung kommen und darauf etwa 20mal
Tiefatmen am offenen Fenster folgt. Z. B. lOmal Armheben seitwärts^
5mal Rumpfbeugen vorwärts, lOmal Kniebeugen, 20mal Tiefatmen;
nach einer kurzen Pause lOmal Armwerfen rückwärts, 5 mal Rumpf
beugen seitwärts, lOmal Anziehen der Knie an den Leib, 20mal Tief
atmen; — u. s. f. Jede Uebung ist anfänglich 5—10, später 20—30mal
auszuführen. Beim Zimmerturnen werden die Uebungen mit dem Lai“
giadere’schen Arm- und Bruststärker, sowie mit Holzkeulen noch zu
wenig beachtet, obwohl grade sie für ältere Herren, Frauen und Mädchen
recht geeignet sind.*)
Der Fabrikarbeiter, der Weber, die Nähterin freilich werden von den
„Krankheiten, die nicht in der Luft stecken, sondern in den vollen Schüsseln
und Gläsern, in den weichen Sesseln und seidenen Betten,“ nicht viel zu
besorgen haben. Aber unter dem Mangel an Bewegung in frischer Luft
leiden sie bei ihrer schmalen Kost noch schwerer als diejenigen, die dem
lieben Gott die Zeit stehlen, und zwar um so mehr, je früher sie „ver
dienen“ müssen, je weniger der Körper entwickelt ist, wenn die Not sie
an den Webstuhl, die Maschine fesselt. Aber auch hier würde es schon
jetzt viel weniger Leid geben, wenn man seine Muskeln täglich mehrere
Male einige Minuten kräftigst, in Bewegung setzte und den Sonntag be
nutzte, um durch Feld und Wald zu streifen, statt im Qualm der Kneipe
Karten zu spielen und Bier und Branntwein zu trinken, oder sich in der
staubigen Luft des Tanzsaals zu drehen.
*) Als passender Leitfaden fürs Keulenschwingen sei empfohlen „Das Keulen
schwingen“ von Wortmann (Hof hei B. Lion).