Volltext: Der Naturarzt 1891 (1891)

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Teil. So denke ich mir die wahre Heilkunde. Es gilt ganz gewiß nicht, 
jedes kranke Glied vom Ganzen zu trennen, eine Neigung, die wir besonders 
bei unsern Frauenärzten ausgebildet finden, die, wie wir wisien, oft da zum 
Messer greifen, wo sich noch viele andere Wege zur Heilung zeigen; es 
auch nicht, jedes heilsame Fieber durch sinnlose Fieberbekämpfungsmittel 
unterdrücken. Wo bleibt hier das sonst so feine Ohr des Naturforschers — 
jeder wahre Arzt soll ein solcher sein — der verständnisvoll dem leisen Puls- 
schlage der Allmutter Natur lauscht? Langsam bricht sich die Erkenntnis 
Bahn. Wir kämpfen für sie vor, werden aber nur zu oft falsch verstanden, 
in unserem Streben nach Wahrheit verkannt. 
Ist es nicht ein großer Steg, wenn wir mit unsern einfachen Heil 
apparaten dasselbe und noch viel Besseres erreichen wie die Allopathie, die 
ungezählter chemischer Mittelchen für ihre Zwecke bedarf und dabei oft genug 
nichts erreicht? Ich betone hier nochmals, daß es sich mit dem Wenigen, was 
die Naturheilkunde thut, ermöglichen läßt, selbst eingreifende Operationen 
unnötig zu machen. Und welcher Mensch hätte nicht instinktiv eine Abneigung 
gegen eine solche? Es gilt nur, unter den einfachen Mitteln die rechte 
Zusammenstellung ihrer Anwendung zu finden, um das gesteckte Ziel auf dem 
kürzesten Wege zu erreichen. Um einen Berg zu besteigen, wählen die einen 
die gebahnten Straßen, den andern gefällt es, auf Umwegen zur Spitze empor 
zuklettern. Je nach Umständen können beide zum Ziele gelangen, mitunter finden 
cs die letzteren überhaupt nicht. Je mehr unsere Anschauungen sich Bahn 
brechen werden, um so besser wird es mit der allgemeinen Gesundheitspflege 
werden. Was die letzten Jahrzehnte Großes in diesem Punkte geschaffen haben, 
das ging niemals aus der Allopathie hervor, sondern nur aus naturheil 
gemäßen Grundsätzen, so zum Beispiel die Kanalisation großer Städte, die 
geeignete Entfernung der Abfallstoffe durch Wasserspülung, durch die die 
Sterblichkeitszahl um ganze Prozentsätze herabgegangen ist. Doch davon 
ein anderes Mal. Hier nur noch ein Beispiel, das das weiter oben 
Gesagte beweist. 
In dem Orte meiner früheren Thätigkeit habe ich einen Freund, einen 
schlichten, einfachen Mann, der aber den Kopf auf dem rechten Flecke trägt 
und darin ein Paar klare Augen, die immer das Rechte sehen. Seit Jahren 
übt er das Naturheilversahren praktisch und, ich muß es sagen, zum großen 
Segen seiner Mitmenschen. Obgleich er kein Gelehrter ist — manche 
werden dazu setzen, vielleicht grade deswegen — hatte er doch für das 
Heilen von Krankheiten einen besseren Blick, wie so mancher wissensstolze 
Herr Doktor. — Dieser liebe Freund erzählte mir Folgendes: Seine 
Frau war immer schwer entbunden worden. Die Leute waren arm, 
hatten nie etwas Rechtes in die Suppe zu brocken gehabt, und für 
seine edle, aufopfernde Thätigkeit fand er nur selten den entsprechenden 
Lohn, und so kam es, daß die Frau jedesmal weniger zuzusetzen hatte, wenn 
ihre schweren Stunden kamen. Des öfteren hatte der Arzt helfen müssen, 
„weil die Kinder falsch lagen". Wie es nun wieder einmal so weit war, bemerkte 
mein Freund, der inzwischen ein trefflicher Beobachter geworden, daß auch 
diesmal der Leib seiner Frau eigentümlich breit war. Wie aus Eingebung 
kam er auf den Gedanken, durch Streichungen mit den Händen den Versuch 
zu machen, das Kindchen, dessen querliegenden Körper er durch die schlaffen 
Bauchdccken wohl durchzufühlen vermochte, in die rechte Lage zu bringen. 
Und siehe da. es gelang. Täglich wurde das jetzt wiederholt. Ohne wissen 
schaftliche Vorbildung, nur durch das fleißige Studieren volkstümlich gehaltener 
medizinischer Schriften und aus sich heraus massierte er aufs trefflichste und
	        
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