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Teil. So denke ich mir die wahre Heilkunde. Es gilt ganz gewiß nicht,
jedes kranke Glied vom Ganzen zu trennen, eine Neigung, die wir besonders
bei unsern Frauenärzten ausgebildet finden, die, wie wir wisien, oft da zum
Messer greifen, wo sich noch viele andere Wege zur Heilung zeigen; es
auch nicht, jedes heilsame Fieber durch sinnlose Fieberbekämpfungsmittel
unterdrücken. Wo bleibt hier das sonst so feine Ohr des Naturforschers —
jeder wahre Arzt soll ein solcher sein — der verständnisvoll dem leisen Puls-
schlage der Allmutter Natur lauscht? Langsam bricht sich die Erkenntnis
Bahn. Wir kämpfen für sie vor, werden aber nur zu oft falsch verstanden,
in unserem Streben nach Wahrheit verkannt.
Ist es nicht ein großer Steg, wenn wir mit unsern einfachen Heil
apparaten dasselbe und noch viel Besseres erreichen wie die Allopathie, die
ungezählter chemischer Mittelchen für ihre Zwecke bedarf und dabei oft genug
nichts erreicht? Ich betone hier nochmals, daß es sich mit dem Wenigen, was
die Naturheilkunde thut, ermöglichen läßt, selbst eingreifende Operationen
unnötig zu machen. Und welcher Mensch hätte nicht instinktiv eine Abneigung
gegen eine solche? Es gilt nur, unter den einfachen Mitteln die rechte
Zusammenstellung ihrer Anwendung zu finden, um das gesteckte Ziel auf dem
kürzesten Wege zu erreichen. Um einen Berg zu besteigen, wählen die einen
die gebahnten Straßen, den andern gefällt es, auf Umwegen zur Spitze empor
zuklettern. Je nach Umständen können beide zum Ziele gelangen, mitunter finden
cs die letzteren überhaupt nicht. Je mehr unsere Anschauungen sich Bahn
brechen werden, um so besser wird es mit der allgemeinen Gesundheitspflege
werden. Was die letzten Jahrzehnte Großes in diesem Punkte geschaffen haben,
das ging niemals aus der Allopathie hervor, sondern nur aus naturheil
gemäßen Grundsätzen, so zum Beispiel die Kanalisation großer Städte, die
geeignete Entfernung der Abfallstoffe durch Wasserspülung, durch die die
Sterblichkeitszahl um ganze Prozentsätze herabgegangen ist. Doch davon
ein anderes Mal. Hier nur noch ein Beispiel, das das weiter oben
Gesagte beweist.
In dem Orte meiner früheren Thätigkeit habe ich einen Freund, einen
schlichten, einfachen Mann, der aber den Kopf auf dem rechten Flecke trägt
und darin ein Paar klare Augen, die immer das Rechte sehen. Seit Jahren
übt er das Naturheilversahren praktisch und, ich muß es sagen, zum großen
Segen seiner Mitmenschen. Obgleich er kein Gelehrter ist — manche
werden dazu setzen, vielleicht grade deswegen — hatte er doch für das
Heilen von Krankheiten einen besseren Blick, wie so mancher wissensstolze
Herr Doktor. — Dieser liebe Freund erzählte mir Folgendes: Seine
Frau war immer schwer entbunden worden. Die Leute waren arm,
hatten nie etwas Rechtes in die Suppe zu brocken gehabt, und für
seine edle, aufopfernde Thätigkeit fand er nur selten den entsprechenden
Lohn, und so kam es, daß die Frau jedesmal weniger zuzusetzen hatte, wenn
ihre schweren Stunden kamen. Des öfteren hatte der Arzt helfen müssen,
„weil die Kinder falsch lagen". Wie es nun wieder einmal so weit war, bemerkte
mein Freund, der inzwischen ein trefflicher Beobachter geworden, daß auch
diesmal der Leib seiner Frau eigentümlich breit war. Wie aus Eingebung
kam er auf den Gedanken, durch Streichungen mit den Händen den Versuch
zu machen, das Kindchen, dessen querliegenden Körper er durch die schlaffen
Bauchdccken wohl durchzufühlen vermochte, in die rechte Lage zu bringen.
Und siehe da. es gelang. Täglich wurde das jetzt wiederholt. Ohne wissen
schaftliche Vorbildung, nur durch das fleißige Studieren volkstümlich gehaltener
medizinischer Schriften und aus sich heraus massierte er aufs trefflichste und